Quelle: FAZ
ZitatAlles anzeigenDas Campino-Alphabet
24. November 2005 Von A wie „Alkohol” bis Z wie „Zukunft”, über „Die Ärzte”, die Heimat, das wahre Wohnzimmer, den Fußball und den Künstlernamen: Deutschlands einflußreichster Punkrocker buchstabiert seine Welt.
Alkohol
war für mich ein Hilfsmittel, um an meine Grenzen zu gehen. Es gab in meinem Leben eine Menge Exzesse, und manchmal ist es super, sich das Leben schönzutrinken. Aber wenn ich mit einem trockenen Alkoholiker rede, vergeht mir das Lachen sehr schnell.
Bühne
war mir in unserer Anfangszeit suspekt. Ich war vollgestopft mit Punkphilosophie: Um nicht abgehoben zu wirken, habe ich mich bei meinem ersten Konzert sogar geweigert, auf die Bühne zu steigen, und mich deshalb davorgestellt. Niemand hat mich gesehen, das Konzert war total ätzend. Seitdem weiß ich, daß eine Bühne wichtig ist, wenn man etwas zu sagen hat.
Campino
heiße ich schon, seit ich 16 bin. Rückblickend hätte ich mir sicherlich einen cooleren Namen ausgesucht. Aber diesen Spitznamen habe ich halt bekommen, in der Punkszene wurde damals keiner bei seinem richtigen Namen genannt. Nur meine Geschwister nennen mich Andi oder Andreas. Wenn das ein Fremder zu mir sagt, empfinde ich das als unangenehmen Annäherungsversuch.
Die Ärzte
sind mittlerweile befreundete Kollegen. Das war nicht immer so. Wir waren lange Zeit scharfe Konkurrenten, auch weil wir von den Medien gegeneinander aufgehetzt wurden. Wir konnten uns echt nicht leiden. Aber die Ärzte sind die einzige Band mit einem ähnlichen Background wie wir. Wenn ich mich mit denen streite - mit wem in der Musikwelt sollte ich mich dann überhaupt unterhalten können?
England
ist aus meinem Leben nicht wegzudenken: Ich bin Halbengländer, die eine Hälfte meiner Geschwister hat einen deutschen Paß wie ich, die andere einen englischen. Ich habe mich der englischen Seite immer stärker verbunden gefühlt. Irgendwann mußte ich aber einsehen, daß ich viele englische Probleme gar nicht nachvollziehen kann. Ich habe dort halt nie gelebt.
Fußball
gibt mir die Möglichkeit, als beinharter Liverpool-Fan mit 20 000 anderen Anhängern im roten T-Shirt über die Straße zu laufen und einer von ihnen zu sein. Der FC Liverpool ist mein Herz, Fortuna Düsseldorf mein Verstand. Ein Gewissenskonflikt ist allerdings nicht zu befürchten, denn die Mannschaften werden in den nächsten Jahren wohl kaum gegeneinander spielen. Im Zweifelsfall würde ich aber zu Liverpool halten.
Geld
macht nicht glücklich. Aber wenn das ein Reicher herausposaunt, hört sich das für alle, die keins haben, ziemlich daneben an. Wenn man Geld hat, muß man aufpassen, daß man anderen gegenüber nicht zynisch wird. Schulden können einen fertig machen. Ich bin keiner, der durch Konsum glücklich wird. Ich verballere mein Geld für Reisen und an die Steuer.
Heimat
ist da, wo die Menschen sind, die mir nahestehen. Deswegen gibt es für mich keine schönere Heimat als Düsseldorf.
Idole
habe ich nicht. Aber es gibt Menschen, die ich für das, was sie tun, bewundere. Ich setze mich nur ungern damit auseinander, aber ich weiß sehr wohl, daß auch wir für einige Leute Idole geworden sind. Für die ist wichtig, was wir sagen und wie wir handeln. Es geht mir nahe zu wissen, daß Menschen zu unserer Musik geheiratet oder Selbstmord begangen haben.
JKP
steht für „Jochens kleine Plattenfirma”, die wir 1996 gegründet haben. JKP macht aber auch unser Management und organisiert einfach alles. Wenn ich auf Tour bin und glaube, daß ich zu Hause das Bügeleisen angelassen habe, rufe ich bei JKP an, und sie regeln das für mich.
Kokain
habe ich auch schon mal von gehört (lacht). Wenn ich auf eine Drogenerfahrung in meinem Leben verzichten müßte, würde ich mich für Kokain entscheiden. Das Zeug erweitert nicht dein Bewußtsein. LSD ist wie eine Weltreise, es wirbelt alle Vorstellungen durcheinander. Kokain macht das nicht. Man steht auf einer Schickimicki-Party, alle sind zugedröhnt, brabbeln vor sich hin, und keiner hört dem anderen zu. Trotzdem gehen am Ende alle mit dem Gefühl nach Hause, sie hätten sich großartig unterhalten. Diese Droge macht egoman.
Live-8-Festival
war eine großartige Aktion. Ich bewundere Bob Geldof, den Initiator der Konzerte, aber in Deutschland haben nur wenige verstanden, worum es eigentlich ging. Es ist tragisch, daß das Festival mit den Attentaten von London zusammenfiel. Dadurch ist der öffentliche Druck, den es erzeugen sollte, sofort wieder zusammengebrochen. Für mich war das der traurigste Moment in diesem Jahr.
Mettmann
heißt der Ort, in den meine Eltern gezogen sind, als ich zwei Jahre alt war. Dort gab es ein kleines Häuschen, und das war für uns sechs Kinder besser als eine Wohnung an der Hauptstraße. Trotzdem war ich in Mettmann nie in der Kneipe, meine Freunde wohnten in Düsseldorf.
Nichtwählen
ist mittlerweile eine ernsthafte Alternative geworden. Durch Wählen unterstützt man die herrschende Politik, und ich will bei dem ganzen Schlamassel eigentlich gar nicht mitmachen. Ich bin nur zur Bundestagswahl gegangen, weil ich Schlimmeres verhindern wollte, aber dadurch habe ich nicht für, sondern gegen etwas gewählt. Das ist ein Scheißgefühl.
Oeffentlichkeit
kann manchmal sauschwer sein. Dabei genieße ich es, wenn ich meine Meinung in einem Interview kundtun kann, das ist ein Privileg. Aber natürlich gibt es auch Momente, in denen ich lieber anonym wäre. Wer noch nie eine negative Schlagzeile über sich gelesen hat, kann nicht nachempfinden, wie das ist, wenn man an jedem Kiosk als Depp der Nation verkauft wird.
Punk
hat mein Leben komplett auf den Kopf gestellt und geprägt. Ich bin glücklich, daß ich diese Zeit so intensiv miterlebt habe. Ich verzweifle allerdings immer daran, wenn die Leute uns vorwerfen, wir seien keine „echte Punkband” mehr. Natürlich bin ich nicht mehr der Mensch, der ich vor 23 Jahren war, das würde ich auch nie behaupten. Aber die ganze Welt hat sich doch geändert!
Quatschen
ist eigentlich negativ besetzt. Es gibt nichts Schlimmeres als Leute, die immer nur über sich und ihr Leben quasseln. Der Eindruck, daß ich ein Vielredner bin, ist deshalb entstanden, weil ich 95 Prozent der Interviews gebe. Der Rest der Band hält lieber die Klappe und ist froh, einen Dummen gefunden zu haben. Für mich gilt: Ein interessantes Gespräch ist das Schönste, was es gibt.
Rudi Dutschke
war leider eine Generation vor mir, aber ich würde die Achtundsechziger gerne einmal mit der Zeitmaschine besuchen. Die Namen Rudi oder Walter Dutschke habe ich auch schon als Pseudonym benutzt, um auf Tour im Hotelzimmer einzuchecken. Ich habe mich aber auch schon Emil Honecker oder Jack Lempinski genannt.
Sexy
finde ich nur, was unbeabsichtigt sexy ist. Dann freue ich mich darüber. Aber ich steh' nicht auf ordinär und auch nicht auf offensichtlich.
Tourbus
mein Wohnzimmer. Wenn wir nachts nach dem Konzert eine Stadt verlassen, ein Glas Rotwein trinken, laut Musik hören und dabei zusehen, wie die Lichter dieser Stadt an uns vorbeiziehen, habe ich ein wunderbares Gefühl von Freiheit. Ich kann nirgendwo besser einschlafen als bei diesem Motorengeräusch.
Unternehmen „Die Toten Hosen”
hört sich für mich zu großspurig an. Das klingt nach einer Strategie, und die hat es bei uns nie gegeben. Aber ich verstehe, wenn andere Leute uns als Unternehmen sehen. Schließlich setzen wir mittlerweile viel Geld um und haben auch einige Angestellte.
Verantwortung
habe ich lange Zeit für uns abgelehnt. Unser Motto hieß immer „Betreten auf eigene Gefahr”. Diese Einstellung finde ich im nachhinein ziemlich naiv und dumm, denn natürlich haben wir Verantwortung: Die Leute sollen sich bei unseren Konzerten amüsieren, aber wir müssen für hohe Sicherheitsstandards sorgen.
Wowereit, Klaus
ist zum Glück nicht mein Bürgermeister. Der hat die Bedeutung des Live-8-Festivals überhaupt nicht begriffen. Ich habe mich geärgert, daß er die Siegessäule für alle möglichen Veranstaltungen freigibt, aber nicht für das Festival. Als er dann merkte, daß Live 8 eine große Sache wird, besaß er die Frechheit, beim Veranstalter anzurufen und zu fragen, ob er die Eröffnungsrede halten solle.
Xenophobie
wird in Deutschland ein ewiges Thema bleiben. Es scheint in den Menschen drinzustecken, daß sie überall eine Hackordnung einführen. Mich ekelt Fremdenfeindlichkeit, weil sie ein Beweis von Dummheit und Ignoranz ist. Aber wer nie aus seinem Ort rausgekommen ist, kann wohl nicht verstehen, daß Gastfreundschaft ein sehr hohes Gut ist.
You'll never walk alone
ist die Hymne des FC Liverpool. In diesem Lied kommt alles zusammen, was mich bewegt: Fußball, Musik, Liverpool. Meine Schlüsselmelodie.
Zukunft
ist für mich der Teil des Lebens, der wie der Rest einer Urlaubsreise vor mir liegt: Ich darf sechs Wochen wegfahren, bin jetzt in der vierten Woche, fange aber nicht an zu heulen, weil nur noch zwei Wochen übrig sind. Statt dessen freue ich mich darauf. Schon die nächste Zukunft wird ein Abenteuer: Ich werde in Berlin Theater spielen. Das ist etwas ganz Neues für mich.