Das Leben hat noch andere Facetten Mannheiimer Morgen

  • Im Mannheimer Morgen ist ein recht langes Interview mit Campino unteranderem zur aktuellen Tournee


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    ROCK: Interview mit Tote-Hosen-Sänger Campino über den Tourabschluss im September auf dem Maimarktgelände
    „Das Leben hat noch andere Facetten“




    Die Toten Hosen sind seit 30 Jahren an Erfolg gewöhnt - aber "Ballast der Republik" war nicht nur das meistverkaufte Album des Jahres 2012, sondern mit Dreifachplatin für über 600 000 verkaufte Exemplare auch der kommerzielle Höhepunkt der Bandgeschichte. An Sonnentagen wie diesen sprachen wir mit Sänger Campino auch über die anstehende Sommer-Tournee, die das Düsseldorfer Punkrock-Quartett in eine neue Dimension führt - und am Samstag, 7. September, für ein Open-Air-Konzert auf das Mannheimer Maimarktgelände, als erster deutscher Act seit Grönemeyer Mitte der 90er Jahre.




    Die "Rock am Ring"-Macher wollen mit "Rock 'n' heim in Hockenheim" ein weiteres großes Festival etablieren. Müssten die Toten Hosen nicht dabei sein - auch um mal mit den alten Rivalen von den Ärzten gemeinsam aufzutreten?


    INFO





    Campino: Ja, das wäre nicht schlecht. Ich habe von diesem Festival gehört, wir haben auch darüber geredet. Die Absicht ist ja wohl, dass es in Zukunft in schöner Regelmäßigkeit stattfindet. Von daher denke ich, dass wir früher oder später dort auch unseren Besuch abstatten werden. In diesem Jahr hat es nicht ins Timing gepasst. Und zu den Ärzten: Die Rivalität zwischen diesen beiden Bands hat es zwar mal gegeben, aber das ist unendlich lange her, da ist so viel geschehen - heute sind wir kollegial miteinander befreundet, tauschen uns aus.


    Im Dezember gab es ein eindrucksvolles Tote-Hosen-Konzert in der SAP Arena, nun kehren Sie am 7. September zurück, eine Etage höher auf dem Maimarktgelände. Hat man nach 30 Bühnenjahren vor solchen Aufgaben noch das Gefühl, sich toppen zu müssen? Oder weiß man einfach sicher, was man kann?

    Campino: Es geht nicht darum, zu versuchen, sich zu toppen. Es ist eine Herausforderung in diesem Jahr, weil wir Kapazitäten spielen, die wir bisher alleine selten geschultert haben. Das sehen wir aber sportlich und eher als logistische Leistung. Denn das, was wir da auf der Bühne machen, unterscheidet sich ja nicht von einem Club-Konzert. Jedoch die ganze Technik in den Griff zu kriegen, also eine große Open-Air-Location so zu beschallen, dass der Sound vernünftig ist - das ist eine Herausforderung. Wir haben zwar immer wieder mal alleine solche Konzerte gespielt, aber nicht als durchgezogene Tournee. Wahrscheinlich die längste und meistbesuchte Tournee der letzten 20 Jahre. Da geht man schon anders in die Vorbereitung, auch mit 'ner anderen Vorfreude.
    Was hat die Toten Hosen am zuletzt wenig bespielten Maimarktgelände gereizt?

    Campino: Das Gelände ist eine gute Lösung, auch weil man dort die Besucherkapazität problemlos verschieben kann. Das macht es ganz besonders entspannt für uns. Zumal wir in Mannheim bisher nur einen Abend gespielt haben und viele Fans keine Tickets bekamen.
    Was erwartet die Besucher?

    Campino: Wir haben uns fest vorgenommen, die Live-Shows im Sommer ganz anders aussehen zu lassen, als das, was wir im Winter gemacht haben. Es geht also nicht darum, dieses Set einfach nur auf eine größere Bühne zu transportieren. Wir wollen schon was anderes bieten, damit man nicht das Gefühl hat, man kommt zweimal zur selben Tour.


    Ist das Quasi-Altamont-Trauma der Hosen überwunden, als vor 15 Jahren beim 1000. Konzert ein Mädchen im Düsseldorfer Rheinstadion starb? Denkt man vor einem großen Open Air daran?



    Campino: Diese Naivität, die wir damals besaßen - die ist natürlich für immer genommen. Der Aspekt Sicherheit war und ist fortan ein Riesenthema für uns. Mit unserem Wissen und unserer Erfahrung klopfen wir jede Veranstaltung ganz anders ab als vor diesem Schicksalstag 1997. Wir würden nie ein Konzert in dieser Dimension mit Veranstaltern und lokalen Kräften spielen, die wir nicht seit Jahren genau kennen. Diese Überlegungen spielen immer eine Rolle - die Sorge hat sich nach der Loveparade-Katastrophe in Duisburg bundesweit bei allen Instanzen noch einmal intensiviert. Es gab in diesem Jahr auch tatsächlich ein, zwei Angebote, die wir abgesagt haben, weil die Leute zu unerfahren waren.


    "Ballast der Republik" ist wohl das erfolgreichste Album in der über 30-jährigen Geschichte der Toten Hosen, gerade setzte es satte sieben Nominierungen für den Echo - ist Ihnen so etwas wichtig?


    Campino: Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Das Leben besteht ja auch noch aus anderen Facetten. Tatsache ist, dass wir in unserem 30. Geburtstagsjahr eine unglaubliche Zeit erlebt haben. Damit haben wir auch selber nicht gerechnet. Da brannte uns eine Euphorie entgegen, die wir in dieser Form sehr lange nicht erfahren haben. Aber das ist nur ein Aspekt. Man kann ja auch ein wundervolles, glückliches Leben haben und viel lachen, ohne die Nummer 1 zu sein. Wenn man glücklich mit einer Platte ist und überzeugt vom Inhalt - das ist die beste Platte! Und nicht die, die sich am besten verkauft. Bei "Ballast der Republik" ist das für uns alles zusammen gekommen.


    Nun polarisiert Erfolg in Deutschland schnell und verwandelt sich in Gegenwind - spüren Sie das schon?
    Campino: Ach, es wird immer genörgelt, wenn man erfolgreich ist. Das muss man einfach aushalten. Ich habe auch kein Problem damit, wenn jemand sagt: ",Tage wie diese' - schönes Lied, es hat mir auch die ersten zwanzig Mal gut gefallen, aber jetzt kann ich's einfach nicht mehr hören." Das haben Lieder im Radio einfach an sich, dass irgendwann ein Sättigungspunkt erreicht ist. Das nehme ich nicht persönlich.
    Haben Sie selbst schon das Radio abgedreht, wenn es kam?
    Campino: Äh - nein! Um ganz ehrlich zu sein: Wenn ich alleine bin, drehe ich's lauter (lacht). Aber das wäre so ein Moment, der mir peinlich ist, ihn mit anderen zu teilen. Ich hasse es, zum Beispiel in einer Kneipe zu stehen oder sonstwo beobachtet zu werden, wenn ein Lied von uns läuft. Dann tue ich immer so, als hätte ich damit überhaupt nichts zu tun.
    Schon eine Idee, wie es weitergeht nach der Tournee?
    Campino: Wir haben ein tolles Jahr hinter und auch noch ein tolles Jahr vor uns, bevor dieses Kapitel zu Ende geht. Dann werden wir wieder in uns gehen, eine Neuausrichtung suchen und unsere Antennen ausstrecken mit der Frage: "Wie könnte es jetzt weitergehen?" Aber noch stecken wir mitten in dieser Sache drin.
    Der Rapper Marteria ("Lila Wolken") hat einige Texte von "Ballast der Republik" mitgeschrieben. War es leicht, einem Vertreter des wortreichsten Popgenres knackige Punkrockzeilen zu entlocken?
    Campino: Wir sind superschnell zusammengekommen. Marteria ist ein absoluter Sprachtänzer. Er geht unheimlich toll mit Worten um und liebt es Geschichten zu erzählen. In unseren konventionellen Songs ist eigentlich weniger Platz für so etwas. Das war eine Herausforderung. Aber wichtiger als die technischen Aspekte, war das Gefühl, dass wir wie zwei Schuljungs zusammen saßen und uns die Worte und Sätze im Ping-Pong-Style über den Tisch gehauen haben. Es war völlig egofrei und ging nur darum, welche Formulierung, welches Sprachbild gut ist. Ich hatte seit Jahren nicht so einen Spaß beim Texten. Zumal wir vor allem unsere frische Freundschaft zelebriert haben.
    Auch Funny van Dannen war Gasttexter - sind Sie so uneitel, dass Sie sich auf ureigenem Frontmann-Terrain gern unter die Arme greifen lassen?

    Campino: In dieser Richtung sowieso. Aber es geht einfach darum: In insgesamt fast 35 Jahren mit Musik ist es sehr wichtig, sich auszutauschen. Und zu sehen: Wie machen die anderen das, wo setzen die an? Das ist genau wie bei Köchen, die Fortbildungskurse machen oder mal in eine andere Hotelküche reinschnuppern. Bei Funny geht es auch um Freundschaft, das ist mir immer wichtig. Aber er ist eher Einsiedler. Das heißt: Wir haben uns das, was wir hatten, auf den Tisch geknallt, und uns dann wieder zurückgezogen, um alleine weiterzuarbeiten bis zur nächsten Besprechung.




    Sie singen im Song "Ballast der Republik": "Wir haben keine Zeit mehr / Für Politik und Religion / Wenn wir an Götter glauben / Dann tragen sie Trikots." Wie kann man das Fehlen von Identifikationsfiguren, die Orientierung geben, ausgleichen?


    Campino: Es ist eine Bestandsaufnahme, wie die Zeiten gerade sind. Das ist doch die Frage im Moment, wenn man sich die Politik anschaut: An wem soll man sich da orientieren? Da kann ich leider auch keinen Tipp geben, wer die Person wäre, der man vertrauen könnte. Das ist der Notstand, der uns umgibt. Als ich jung war, habe ich manche Politiker regelrecht gehasst. Aber die standen für etwas. Und haben mit Überzeugung und Leidenschaft gehandelt. Das ist sicher eine Folge des Zweiten Weltkrieges gewesen. Da haben sich viele Leute in die Politik geworfen, mit dem Ziel: Unser Land darf nie wieder in so eine Situation geraten.

    INFO


    Zur Person: Der nach der Bonbonsorte Campino benannte Sänger der Toten Hosen wurde am 22. Juni 1962 als Andreas Frege in Düsseldorf geboren. Sein Vater war Richter, seine Mutter, eine Engländerin, Lehrerin. Die Hosen wurden 1982 als Nachfolgeband von ZK gegründet. Schon das Debütalbum "Opel-Gang" war 1983 mehr als ein Szene-Erfolg, 1988 machte "Ein kleines bisschen Horrorschau" mit "Hier kommt Alex" das Punk-Quintett zu einer der wichtigsten deutschen Rock-Bands. Seit 1996 erscheinen alle Hosen-Platten auf dem bandeigenen Label JKP. Ihre Erfolgsgeschichte toppten sie 2012 mit "Ballast der Republik" und dem Hit "Tage wie diese", die ihnen gerade sieben Echo-Nominierungen eingebracht haben.
    Zum Konzert: Die Toten Hosen beenden mit einem noch nicht benannten Special Guest und zwei weiteren Vorbands ihre "Krach der Republik"-Mammuttournee am Samstag, 7. September, ab 17 Uhr, auf dem Mannheimer Maimarktgelände. Karten unter 0621/10 10 11 (48 Euro). jpk




    Eine andere Sache, mit der Sie sich in Texten und auf der Bühne eindrucksvoll beschäftigen, ist die Auseinandersetzung mit Ihrem verstorbenen Vater - den Sie mit dem Alter immer häufiger in sich wiedererkennen. Wie drückt sich das aus - vielleicht im Umgang mit dem eigenen Kind?


    Campino: Das merke ich tatsächlich im Umgang mit meinem Sohn. Wenn bei mir die Schnur reißt, weil ich merke, der ist bockig, oder ich in ein reines Verbot gehe, ohne mich groß zu erklären. Da mache ich dann ähnliche Sachen wie mein Vater. Ich habe Ängste, die ich an mir früher gar nicht kannte - das sind Elternreflexe. Etwa, wenn der Junge mit Vollkaracho auf eine Straße zuläuft, besonders hoch klettert oder mit unheimlichem Tempo eine Skipiste runterrast. Da brüllst Du dann: "Brems! Brems!" Diese Stimme habe ich auch noch von meinem Vater im Ohr. Und damals war mir das völlig egal, was er gerufen hat.


    Vor zwei Wochen konnte man Sie beim SWR UniTalk im größten Hörsaal der Mainzer Uni erleben. Das hatte medial ungeahnte Folgen . . .


    Campino: Die Veranstaltung war eigentlich ganz okay. Dann kam plötzlich ein singendes Heino-Imitat in den Saal. Daraufhin habe ich vor den Studenten einen Witz gemacht - und da sind dann diese Zeitungsmeldungen rausgekommen, dass ich mich wegen Heino über das Feuilleton aufregen würde. Das war natürlich ziemlicher Blödsinn. Aber mittlerweise ist es eben so: Du kannst im letzten Dorf der Republik sein - wenn du da irgendeinen Satz sagst und die Leute haben Lust darauf, eine Überschrift daraus zu machen, bist du im Nu in allen Zeitungen.


    Die Reaktion blieb nicht aus: Wie mies fühlt man sich, wenn man noch keine 50  Millionen Platten verkauft hat wie Heino?


    Campino: Wie ein Loser (lacht)! Man möge mir verzeihen, aber ich kann mich wirklich nicht mit diesem Herrn in den Clinch begeben. Es muss im Leben um Wichtigeres gehen.


    Sicher. Aber als gelernter Punk könnte man ja auch die fast subversive Medienkampagne amüsant finden. Steckt in dem Manöver nicht auch ein wenig von Malcolm McLarens großem Rock-'n'-Roll-Schwindel?


    Campino: Aus seiner Perspektive ist es sicher ein geschicktes Album. Ich war auch nicht enttäuscht von der Reaktion im Feuilleton, sondern eher amüsiert. Zum Beispiel darüber, dass da plötzlich Vergleiche angestellt wurden, die einfach hanebüchen sind: Deutschlands Johnny Cash. Vielleicht sehe ich die Sache auch etwas enger, weil wir damals in einem bösen Gerichtsstreit waren, wo er keine Gnade hat walten lassen. Unser Mann [Norbert Hähnel, der im Vorprogramm der Hosen Mitte der 80er als "Der wahre Heino" auftrat, Anm. d.Red.] musste ja wegen dieser Aktion am Ende ins Gefängnis. Da war die humorvolle Seite des Heino über viele Jahre nicht zu sehen.
    © Mannheimer Morgen, Donnerstag, 07.03.2013


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