Mein DTH-Jahr 2017

  • Disclaimer: Ich weiß, es gibt schon die Threads zu "Hinrundenfazit" und den "Offenen Brief". Ich habe aber die Befürchtung, dass dieser Text entweder die anderen Threads irgendwie kapern könnte oder eigentlich nicht so richtig passt. Solltet ihr anderer Meinung sein, fühlt euch bitte frei, den Text entsprechend zu verschieben (bzw. mir Bescheid zu geben, dass er woanders besser aufgehoben wäre).


    Danke :)


    +++++++


    Das Jahr 2017 war bezüglich der Hosen für mich eines der intensivsten überhaupt. Deshalb möchte ich gern meinen ganz persönlichen Rückblick schreiben - mit allen Höhen und auch seinen Tiefen: Auch weil dieses Forum einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat.


    Ich selbst bin seit circa der "Opium" mit den Toten Hosen unterwegs. Damals war ich so elf oder zwölf Jahre alt. Mein erstes Konzert bekam ich von meinen Eltern zur Jugendweihe geschenkt: Unsterblich-Tour 2000. Seidenstickerhalle Bielefeld. Bis einschließlich 2016 zähle ich 12 Hosen-Konzerte oder -Auftritte. Das letzte war auf der Leipziger Festwiese 2015. Und inzwischen gefühlt viel zu lange her...


    Ende 2016 machte ich privat die schwerste Zeit meines Lebens durch. Meine Ehe war gerade zerbrochen. Sie begann einige Jahre früher - beide in "Bis zum bitteren Ende"-Sweatshirts gekleidet. Nun war da das Ende. Und bitter war es definitiv. Insofern war das damalige Standesamt-Outfit durchaus passend gewählt. Die Hosen sind für mich untrennbar mit den voran gegangenen Jahren verbunden. Bis kurz vor dem Erlebnis hatte ich bereits einen Termin beim Tättowierer für den klassischen Knochenadler. Doch nun fühlte es sich falsch an. Ein Tattoo mit dem Motiv einer zerbrochenen Ehe? Ich war mir nicht sicher, ob ich das wirklich noch wollte. Die Hosen? Ja. Aber letztlich war das Symbol für mich zu etwas etwas Anderem geworden.


    Oder nicht?


    Der Termin wurde natürlich storniert. Ich hatte auch andere Sachen im Kopf.
    In der Zeit besann ich mich darauf, wie für mich alles begann. Nicht nur der Beziehungskram, auch früher. Ich reflektierte mein Leben. Und ich legte Musik auf. Erstaunlich viel "Die Toten Hosen". Es überraschte mich, aber es zog mich kein bisschen runter. Viele Stücke halfen mir. Alte Lieblingsstücke halfen, den Frust herauszuschreien. Andere Stücke wurden entdeckt oder wieder entdeckt. Meine Zeit der Trennungsverarbeitung war zeitgleich auch die Renaissance des Hosen-Fans in mir. Rückblickend skurril, und doch: Es zeigte sich, warum die Hosen seit Jahrzehnten meine Lieblingsband sind: Sie halfen mir selbst durch diese schweren Zeiten.


    Ich tauchte wieder ein in diese Welt. Ich lauschte alten und neuen Alben. Ich las Jahrzehnte alte Interviews. Ich besorgte mir endlich einen Großteil der verfügbaren Singles. Es fühlte sich gut an. Viel neuer Input, viel neues Material. Ein Neuanfang mit alten Vertrauten.


    Viele Jahre verfolgte ich dieses Forum als stiller Mitleser. Irgendwann meldete ich mich mal an, weil irgendjemand irgendetwas schrieb, mit dem ich nicht einverstanden war. Dann monatelang Ruhe. Erst jetzt - zum Jahreswechsel 2016/2017 fand ich wieder hierher. Und das täglich. Ich durchforstete die Archive, bedankte mich für diverse Mitschnitte und erfreute mich an den neuesten Gerüchten.


    Und dann begann die Magical Mystery Tour. Und ich war nicht mehr zu halten. Diese Band, die mir all die Jahre so viel gegeben hatte, sie war wieder da. Und sie hatte Bock. Die Videos der Auftritte erzeugten eine Sehnsucht in mir, die ich bis dato nicht kannte. Ich wollte sie wieder sehen. Ich wollte mich auf Konzerten vergessen und die Hosen selbst zeigten eine Spielfreude, wie ich sie nur sehr selten zuvor erlebt hatte (vielleicht nur beim für mich niemals vergessenen Huxley's-Auftritt 2013). Ich wollte das auch haben, dabei sein, ausrasten. Ich beneidete jeden Einzelnen, der in einem von diesen Wohnzimmern stehen durfte. Ich war heiß.


    Album und Single wurden angekündigt. Als dann "Unter den Wolken" erschien, war das für mich eine schwer in Worte zu fassende Art von Erlösung. Mein persönlicher Neuanfang hatte jetzt etwas Greifbares. Denn die Single war großartig. Auch für die Hosen schien nach dem Republik-Zeitalter eine Wende spürbar. Ich hatte Spaß an den Songs. "Gegenwind der Zeit" sprach mir so sehr aus der Seele, wie es ein neuer Hosen-Song schon viele Jahre vorher nicht mehr konnte. Nach all den depressiven Wochen und Monaten sah ich Licht.


    Anfang Mai erreichte dieses Gefühl dann seinen vorläufigen Höhepunkt. Ich hatte das Glück, Karten für die Release-Party zu bekommen. Ich nahm keine Rücksicht. Nicht auf mich. Nicht auf meine Gesundheit. Nicht auf den Job. Selbst wenn ich nicht frei bekommen hätte, wäre mir das egal gewesen. Unter allen Umständen musste ich nach Köln kommen. Auto gemietet, das neue Album noch auf den Stick gezogen. Los.


    Und dann standen wir in der Warteschlange ("Schau! Da hinten ist eine Menschenansammlung, da müssen wir hin." - "Äääh... Wattn ditte? Performancekunst? Nee, echtma. Kiekste da, nochne Schlange!"). Schönstes Wetter. Draußen heizten "Heiter bis wolkig" (?) und wir selbst uns ein. Die Party drinnen war perfekt. Ich war glücklich.


    Glücklich. Ja, das war ich wirklich. Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit fühlte ich mich gut. Besserung. Ein wunderbares Gefühl.


    Das Album selbst finde ich in großen Teilen wirklich gelungen. Nach den ersten drei Titeln twitterte ich damals etwas von hundertprozentiger Kehrtwende - nur um bei "Wannsee" gleich einmal ein "WTF?!" hinterher zu schicken. Es hat seine Kanten, aber eben auch seine Höhepunkte. Ich war und bin zufrieden damit und freute mich auf eine mögliche Tour.


    Doch die ließ auf sich warten.

    Natürlich hatte das seinen Grund. Das Jahr war nun bereits gut zur Hälfte um, und mir selbst ging es immer besser. Und dann hauen die Jungs urplötzlich so ein Ding raus: Die Theater-"Trommelfell"-Tour mit den Well-Brüdern war für mich so großartig, dass ich es nicht beschreiben kann. Ich habe gelacht. Stundenlang. Tränen der Freude. Tanzend im Admiralspalast. Und nun fühlte ich mich nicht nur gut - zum ersten Mal sahen es Freunde und Bekannte auch. Sie sprachen mich darauf an, sie sahen mich grinsend durch die Gegend ziehen.

    Die Festivals kamen gingen und so langsam wurde das Forum nervös. Die Tourdaten ließen auf sich warten. Als die Argentinien-Daten heraus kamen, hat der Finger gekribbelt. Aber ich ließ es dann sein. Man sollte sein Glück nicht überstrapazieren - auch wenn es nach wie vor ein unerfüllter Wunschtraum von mir ist. Aber so eine Scheidung kostet Geld, da wollte ich nicht leichtfertig die Tausender für die Reise rauswerfen. Wir brauchten also Geduld.

    Und schließlich?

    Frust. Der unendlich ersehnte Vorverkauf hatte begonnen... Irgendwie. Doch eine derartig stümperhafte Umsetzung der Verkaufstechnik hat mich ehrlich gesagt erschüttert. Es kostete mich geschlagene vierzig Minuten, um letztlich doch eine Karte ergattern zu können. Ein weiteres Konzert? Undenkbar. Und der Schwarzmarkt florierte bereits. Stimmungsdämpfer.

    Die nächsten Singles waren draußen, doch muss ich sagen, dass ich a) "Wannsee" noch immer für einen Stinker halte und damit auch die Auskopplung komplett gar nicht nachvollziehen kann und b) auch von den B-Seiten nach der starken ersten Single irgendwie ernüchtert war. Die Hosen-Euphorie hatte jetzt spürbar nachgelassen. Die Normalität kehrte langsam in den Alltag zurück.

    Und dann begann die Tour. Ich las keine Kritiken der ersten Konzerte, ignorierte jeden diesbezüglichen Thread. Ich wollte mir den Spaß nicht verderben lassen. Selbst wenn die Setlists die User hier enttäuschen sollten, wollte ich mir doch die Überraschungen lassen. Und dann kam der Konzerttag. Berlin I in der Schmeling-Halle. Die Toten Hosen in Berlin - und Magen-Darm-Virus in mir. Super.


    Es half nichts. Wieder ignorierte ich die Gesundheit. Ich musste mich jetzt auf Imodium und Buscopan verlassen. Ich bereute es schon in dem Moment, aber wenigstens wollte ich um einen Sitzplatz kämpfen, für den Fall der Fälle. "Biete Stehplatz. Suche Sitzplatz." stand auf dem Schild. Es war unnötig, Sitzplätze wurden nicht kontrolliert. Mein erstes Hosen-Konzert aus dem Rang. Es fühlte sich falsch an.


    Aber es wurde der Hammer. "Kauf MICH!", "Wir sind bereit", "Schöne und das Biest", "Weihnachtsmann vom Dach" und "Mehr davon". Das Adrenalin übertönte alle anderen Schmerzen und Wehwehchen. Ich stand ununterbrochen. Der Sitzplatz war komplett unnötig geworden. Ich brüllte mir die Seele aus dem Leib.


    Die größte Überraschung war natürlich der letzte Zugabenblock: YNWA. Und fertig. Wie immer. Die Halle leerte sich sofort. Doch mit meinem Blick vom Oberrang auf die Tontechnik zeigte sich: Die sehen nicht so aus, als würden die abbauen. Und ich sollte ja Recht behalten.


    Nunmehr fünfzehn Hosen-Konzerte in gut achtzehn Jahren. Und zufällig alle in anderen Städten oder Locations. Und dieses hier konnte mich ein weiteres Mal komplett entzünden.


    Und nun las ich die Berichte. Die Euphorie hier im Forum war greifbar, ich konnte unser gemeinsames Glück kaum fassen. Die Hosen lasen offensichtlich (und nach eigener Aussage auf dem Konzert!) hier mit. Wünsche wurden respektiert. Es wurde rotiert. Auf jedem Gig ein neues Highlight.


    Es stand fest, es musste einfach sein: Berlin II. Innenraum. Preis scheißegal. Und die "Ein Konzert - eine Location"-Statistik auch. Schmeling-Halle musste nun gedoppelt werden. Das erwies sich auch als komplett unproblematisch. Wenige Stunden vor Beginn hatte ich zum Originalpreis zwei Tickets.


    Die Setlist mit den tollen "Alles ist eins" und "Unsterblich" für mich gefühlt etwas ruhiger, aber zusammen mit der Live-Premiere von "Alles mit nach Hause" und dem großartigen letzten Block war das zweite Konzert natürlich wieder jeden einzelnen verdammten Euro wert.


    Was danach - wenige Tage später - als Schnapsidee begann, sollte dann zum nervenzerfetzenden letzten Akt des Jahres werden. Bei all der Varianz und Großartigkeit der Sets, was würden Die Toten Hosen wohl beim Abschluss in der eigenen Stadt veranstalten?


    Eine weitere Location-Doppelung. Ich hatte 2009 bereits einmal das zweifelhafte Vergnügen eines Hosen-Heimspiels im ISS-Dome. Und alles, woran ich mich dabei erinnere ist die absolut viel zu aggressive Security, die wehrlose Mädchen zusammenschlug. Nun wollte ich diese Delle meiner Hosen-Konzerte ausbügeln.


    Der Second-Hand-Ticket-Markt war in Berlin ja sehr problemlos. Deswegen war ich naiv genug, zu glauben, man käme ohne Weiteres an Karten für Düsseldorf II. Bekam ich auch. Via Kleinanzeigen. 3 Stück, Innenraum, knapp über Originalpreis. Ich überwies 200€ und... hörte nichts mehr. Ich saß einem Betrüger auf. Der Frust nahm seinen Lauf. Ich war enttäuscht. Natürlich liest man immer wieder über solche Typen. Ich hatte mich allerdings abgesichert, so gut es ging. Ich hatte mit ihm mehrfach telefoniert, mir sogar seinen Ausweis schicken lassen - ich prüfte sogar das Foto mit einem eigens angelegten Facebook-Accounts. Alles schien stimmig. Bis ich auf ein Forum stieß, das genau diesen Namen mit Betrug in Verbindung brachte. Ich stellte umgehend Strafanzeige.


    Nun erst Recht! Was ich noch beschissener fand, als den finanziellen Verlust, war der Verlust am Spaß. Diese Genugtuung wollte ich dem Penner nicht gönnen. Die Gesuche und Angebote mehrten sich, die Preise wurden exorbitanter. Innenraum nahezu unbezahlbar. Letztlich hatte ich Glück und konnte zwei Unterrang-Stehplätze für je 90€ ergattern. Beim Versuch, eine dritte Karte von einem Anbieter direkt in Berlin zu bekommen, wurde ich jedoch bei der vereinbarten Übergabe versetzt. Wieder. Was sind das bloß für Leute, die so auf der Welt unterwegs sind?


    Egal. Am Ende standen wir vor dem ISS Dome. Die Schlangenführung fand ich katastrophal. Warum gab es nur eine Schlange für mehrere Eingänge? Erste Ängste taten sich auf. Die Erinnerungen an den letzten ISS-Dome-Besuch tauchten wieder im inneren Auge auf. Hoffentlich würde es dieses Mal besser werden.


    Aufgrund dieser Einlasspolitik hatte sich unser frühes Kommen und braves Anstellen nicht bezahlt gemacht und wir bekamen im Block jetzt nicht mehr die besten Plätze, aber wer will schon meckern? Party war angesagt!
    Von "Feine Sahne Fischfilet" hatte ich aufgrund der schlechten Tonabmischung nicht viel mitbekommen. Aber Party konnte der Front-Typ auf jeden Fall. Ich war wieder heiß!


    Und natürlich wurde all der Frust und Stress und der komplette Abfall vom Glauben an die Menschheit innerhalb der vorangegangen Tage von den Jungs auf der Bühne komplett weggeblasen. "Venceremos"! Wie großartig, diesen Song noch einmal live zu erleben. Oder "Wehende Fahnen"!


    Der Platz war jetzt nicht so berauschend, auch auf die komplett besoffene Tussi, die abwechselnd mit einem von zehn Typen knutschte oder sie lautstark anbrüllte, hätte ich gut verzichten können. Im Unterrang kam man auch leider nicht weg, das hat das Gesamterlebnis ein wenig geschmälert. Aber die Hosen in ihrer Heimat zu erleben, hatte etwas Besonderes. Überhaupt war die Grundstimmung vor und in der Halle viel freudiger, positiv geladener, energiereicher als ich es anderswo je erlebt hatte. Die Hosen hatten viel Spaß an den Städte-Insidern und ich hatte meinen Spaß an dem für Außenstehende seltsamen Lokalpatriotismus. Das machte das Konzert am Ende einzigartig.


    Ein Ranking von mir wäre Berlin I, Düsseldorf II, Berlin II. Aber alle hatten ihre großen Highlights. Ich hoffe, dass die Perlen auch 2018 weiter rotieren, und ich dann auch in das Glück komme, "Helden und Diebe" oder "Glückspiraten" noch einmal live erleben zu dürfen.


    Die Toten Hosen haben es drauf. Endlich wieder. Sie haben mir ein unerwartet tolles Musik-Jahr verschafft. In der Zeit, an dem ich es am meisten gebrauchen konnte. Ich möchte mich dafür bedanken! Ich hoffe, dass dieser Weg noch eine Weile geht. Denn nun bekommt der Tättowierer seinen nächsten Auftrag:


    "Bis zum bitteren Ende werden wir den Weg mit geh'n!"


    Happy New Year euch allen!
    Danke an alle Freunde, die mich unterstützt und begleitet haben, und natürlich dieses Forum, das vieles hier erst ermöglicht hat!

    36 (+2)
    Narf.

    6 Mal editiert, zuletzt von S-Man ()

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