21.04.2018 - Peking

  • Back to Topic. Seit gestern bin ich wieder da und jetzt versuche ich mal die unglaublich vielfältigen Erlebnisse am 21. April zu ordnen.


    Die ersten Tage in Peking vor dem Festival waren schon grandios. Am ersten Tag trafen wir die Hosen zufällig am Himmelspalast. Alles total locker, entspannter Smalltalk ohne Selfie-Wahn. Wir wünschten uns gegenseitig noch viel Spaß beim Sightseeing. Abends trafen wir sie dann alle Fünf wieder in einem Punk-Club namens Temple Bar. Der Club lag versteckt im 1. Stock im Hinterhof, den wir wohl nicht gefunden hätten, wenn wir auf der Hauptstraße nicht Kuddel getroffen hätten, der uns den Weg wies. Dort angekommen spielten verschiedene lokale Punk-Bands, vor allem in weiblicher Besetzung. Angekündigt wurde das Ganze als "Grrrrl"-Konzertreihe". Die vorletzte Band war dermaßen großartig, dass es sogar Pogo gab. Ein chinesischer Punkrocker hatte ein T-Shirt mit der Aufschrift "No Trump, no KKK, no fascist USA" an. Was für ein Statement. Erst mal ein Foto gemacht.
    Die letzte Band des Abends kam aus Australien. Deren Set artete in einer endlosen Jam-Session aus, bei der sogar ein Trompeter auf die Bühne kam. Was für ein cooler Club, was für eine intensive Begegnung mit der Subkultur nach diesem anstrengenden Sightseeing-Tag zwischen Verbotener Stadt, Himmelspalast und Temple Bar. Bis dato hatte sich die Reise schon dermaßen gelohnt, ohne dass die Hosen auch nur einen Ton gespielt hatten.


    Nach dem guten Wetter der vergangenen Tage begann der 21. April dann extrem regnerisch. Um die Festivaltickets abzuholen, irrten wir in der Pekinger Innenstadt am Workers Stadium vormittags erst mal eine Stunde im strömenden Regen herum, wo man die Online-Tickets gegen Hardtickets eintauschen musste.
    Unser Reiseplan sah vor, vom Festival nur die letzte Band vor den Hosen mitzunehmen und stattdessen den Tag am neuen Abschnitt der chinesischen Mauer zu verbringen, nachdem wir am Vortag schon am alten Abschnitt waren. Im Prinzip hätten mich die anderen Bands auch interessiert, doch da die Punk-Bands in der Temple Bar so genial waren, hätte die Begegnung mit der lokalen Musik-Szene auf so einem riesigen Gelände sowieso nicht getoppt werden können.
    Gegen 16.30 Uhr brachen wir dann also mit unserem privaten Fahrer von der Mauer auf und hätten eigentlich spätestens um 18 Uhr am Festival sein müssen. 1,5h wären noch bis zum Beginn der Hosen gewesen. Bis dahin bis auf den starken Regen alles easy. Auf der Fahrt selbst kam dann eines zum anderen: Wir 7 waren alle erschöpft und ermüdet, sodass sich jeder auf die Planung des anderen verließ. Erst als wir wieder im Stau in der Pekinger Innenstadt standen, fragten wir uns, ob der Fahrer uns überhaupt zum Festival fahren würde. Auf Nachfrage sagte er uns dann, dass er uns wie gewünscht zum "Yugong Yishan" fahre und wir in einer Viertelstunde da seien. Das Yugang-Yishan-Festival 15 Minuten von der Pekinger Innenstadt entfernt, obwohl es doch 70km außerhalb liegen sollte?
    Schnell war klar: Wir werden nicht zum Festival, sondern zum Club Yugong Yishan in Peking gefahren. Das Entsetzen war groß, denn um aus dem Stau in der Innenstadt bis ins Gebirge zum Yugong-Yishan-Festival zu gelangen, brauchten wir mindestens 2 Stunden. Ungefähr so, als gäbe es in der Düsseldorfer Innenstadt einen Club namens "Rock am Ring" - bis man dann feststellt, dass man vom Festival 1,5h entfernt steht. Auf dem Weg dorthin versuchten wir uns die Lage schön zu reden ("Die fangen bestimmt später an", "Das wird eh nur ne Festival-Setlist"), doch insgeheim war ich mit den Nerven völlig am Ende. Die Toten Hosen spielen einmal in China, ich bin dabei und dann verpassen wir mutmaßlich die Hälfte des Festival-Gigs? Der Weg ins Gebirge zog sich dann endlos und unsere Enttäuschung über unsere eigene Naivität stieg ins Unermessliche. Gegen 20.10 Uhr erreichten wir dann endlich das Festival. Als wir aus dem Bus ausstiegen, tönte "Passenger" aus der Ferne. Um zum Gelände zu gelangen, musste man einen steilen Berg runterlaufen. Mit Tränen in den Augen über dieses intensive Erlebnis rannte ich zu "Niemals einer Meinung" der Bühne entgegen. Ob wir noch in den vorderen Bereich kommen würden? Scheiß egal, Hauptsache noch die zweite Hälfte des Gigs mitnehmen. Ohne Ticket-Kontrolle (die 75€ sowie die morgendliche Suche nach dem Umtauschort in Peking im strömenden Regen hätten wir uns damit sparen können) passierten wir problemlos den Einlassbereich. Dann die große Verwunderung: Das Gelände war weitestgehend leer, die Bühne jedoch riesig, locker vergleichbar mit der Stadion- oder Rock-am-Ring-Bühne. Die LED-Show für die ca. 600 Leute wirkte bombastisch, das verweiste Gelände mit der schönen, aber leider dunklen Berg-Kulisse total surreal. Zwischen der Bühne und der ersten Bühnenabsperrung lagen rund 10 Meter. Vor der ersten Reihe standen uniformierte Soldaten (vielleicht war es auch die Nationalgarde, Polizei eher nicht), die aber sehr freundlich aussahen. Bei "First Time" gab Campino dann auf die Mauer zur ersten Reihe und lief einmal von links nach rechts. Die Dolmetscherin Heike kam alle 3-4 Songs auf die Bühne und übersetzte Campinos Ansagen. Ich vermute, dass ca. die Hälfte des Publikums Chinesen waren, also deutlich weniger als erwartet. Insgesamt kann ich das aber schwer beurteilen, weil wir ja nur die 2. Hälfte des Konzerts aus einer festen Position mitbekamen. Die Hosen gaben sich sichtlich Mühe, waren aber über die geringe Besucherzahl wohl mindestens überrascht, wenn nicht eher enttäuscht. Mein Kumpel aus Deutschland, der derzeit in China lebt und extra aus dem 1000km entfernten Hefei angereist kam, meinte, das liege wohl hauptsächlich am hohen Ticketpreis von ca. 75€, der für chinesische Verhältnisse einfach nicht erschwinglich ist. Das schlechte Wetter und die periphere Lage taten dann wohl ihr Übriges.
    Das Konzert war okay und angesichts der krassen Gefühls-Achterbahn während der Anreise dann unterm Strich doch schön, wenn auch extrem kurz.
    Und doch sollte in dieser Nacht noch mein bestes Hosen-Konzert aller Zeiten folgen. Mehr dazu im School-Bar-Thread ;)

    Campi: "Jetzt muss ich mal von Amateur zu Amateur fragen: Wollen wir hier stimmen an dieser Stelle? Breiti muss die Gitarre wechseln! Das hätten wir uns früher nicht erlaubt so ne Scheiße!"
    Andi: "Früher hatte Breiti nur eine Gitarre!"


    S036, 2. September 2009

    3 Mal editiert, zuletzt von Pilsator2 ()

  • danke für den klasse bericht, pilsette!! da leidet man direkt mit..!

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