Interessiert vielleicht den ein oder andere ebenfalls...
ZitatAlles anzeigen
Momentan scheinen sich immer mehr Leute für die Musik Charts zu interessieren. Teilweise wird die Qualität zweier Künstler einfach nur anhand der jeweiligen Album Verkäufe miteinander verglichen. Davon abgesehen, dass das generell wenig Sinn macht, wissen die meisten nicht einmal, wie die Charts wirklich funktionieren. In diesem Artikel möchte ich darüber aufklären, wie die offiziellen deutschen Charts sowie auch die internationalen bzw. amerikanischen Billboard 200 Charts funktionieren…
Wie funktionieren die Charts?
Beispiel: Charts für Musikalben: Eine spezielle Einrichtung zählt von jedem veröffentlichten Album die (mehr oder weniger) genaue Anzahl an Exemplaren, die in der Woche verkauft wurden. Hierzu arbeitet man mit sämtlichen Händlern zusammen. In Deutschland z.B. wird also bei Saturn, Amazon und Co. nachgefragt, wie viele CDs die von Künstler XY diese Woche verkauft haben. Mini-Läden, eigene Online-Shops der Künstler, Verkaufsstände auf Konzerten usw. werden in der Regel nicht berücksichtigt.
Dabei beginnt die Zählung in Deutschland am Freitag und geht bis zum darauffolgenden Donnerstag. Am Tag darauf, also Freitag wiederum, wird dann bekannt gegeben, wer in dem letzten Wochenabschnitt die meisten Alben verkauft hat, wer die zweit meisten usw. Zumindest in den meisten Ländern ist es so.
Wie werden die Charts konkret in Deutschland ermittelt?
In Deutschland wird die Anzahl der Musik-Verkäufe durch die GfK Entertainment berechnet und anhand der Ergebnisse die Charts heraus gegeben, wobei es speziell bei uns jedoch einen kleinen Unterschied gibt: Die GfK orientiert sich an dem generierten Umsatz eines Albums. Es gilt: 14 EUR Umsatz sind 1 Verkauf.
Das bringt etwas Wirrwarr in die Sache. Beispiel: Kunde 1 kauft eine Limited Fan Box (enthält Album und etwas Merchandise) für 42 EUR. Kunde 2 kauft sich das Album in Form eines Downloads für 9 EUR. In beiden Fällen wurde das Album eigentlich genau 1 mal verkauft. Für die GfK jedoch nicht: Im Falle des ersten Kunden berechnen sie 3 Verkäufe, im Falle des zweiten Kunden berechnen sie 0,64 Verkäufe.
Zwar heißt es dann letztlich Platz 1 geht an Sarah Connor, Bushido, Xavier Naidoo (oder sonst wen), weil der Künstler am meisten CDs verkauft hat, jedoch hat derjenige eigentlich „gewonnen“, weil er den meisten Umsatz mit seinem Album generiert hat.
Natürlich kann Sarah Connor oder wer auch immer trotzdem auch die meisten Exemplare verkauft haben – das muss jedoch nicht so sein. Gerade die von vielen Rappern in Deutschland angebotenen Fanboxen können das Ergebnis doch sehr stark verfälschen.
Wenn es in Deutschland heißt, Rapper XY hätte 60.000 Platten verkauft, dann hat er in Wirklichkeit vielleicht bloß 20.000 Boxen verkauft (bzw. X Boxen, Y Premium-Editionen, Z Standard-Editionen und SCHLAG-MICH-TOT-Downloads).
Die scheinbar so exakte Angabe der 60.000 ist also keineswegs real.
Boxen sind Chartbooster
Somit ist klar, dass Boxen und teure Premium Editionen nicht nur (etwas) mehr Umsatz generieren sollen, sondern vor allem als Chartbooster dienen. Sie katapultieren den Künstler auch bei geringeren Verkäufen einfach weiter nach oben.
Fanboxen enthalten, neben dem Album, zusätzliches Merchandise, z.B. Poster, Hefte, Shirts, usw. Oft werden die Boxen als limitiert ausgewiesen, um sie als Sammlerstücke anpreisen zu können. Manche pressen aber trotzdem nach.
Einige Künstler geben noch damit an: „ich habe 80.000 Exemplare verkauft“ oder „ich bin seit 10 Jahren der erste, der 200.000 verkauft hat“. In Wirklichkeit kann man diese Stückzahl aber, sofern eine Box angeboten wurde, oft etwa durch 2 teilen.
Ist es verwerflich, Boxen anzubieten?
Kann man auch nicht sagen. Die Künstler wollen eben gut verdienen und hoch in die Charts kommen, es ist ihr Job, sie müssen davon leben. Merkwürdig finde ich eher, wenn Konsumenten einen Künstler nur deswegen feiern, weil er gut platziert ist und ja so dermaßen viel verkauft hat. Denn eigentlich sagt das Ranking nichts aus. Schön ist es aber auch nicht, wenn die Künstler mit ihren scheinbar so hohen Verkäufen hausieren gehen – sie wissen ja selbst am besten, dass die Zahl nicht wirklich stimmt.
Begrenzung
Der Vollständigkeit halber: Was bei einer Box nicht funktioniert ist z.B. die Schlüssel für ein neues Auto mit rein zu tun, sie für 20.000 EUR zu verkaufen und schon ist man Platz 1. Es gibt erstens eine Grenze von 50 EUR, sprich alles, was darüber hinaus geht, wird einfach nicht in die Charts mit eingerechnet. Zweitens muss die Musik selbst das Teuerste/Wertvollste in der Box sein.
Wie sieht es international aus?
Ganz anders! Nicht nur in den USA, auch überall sonst auf der Welt ist ein Album-Verkauf ein Album-Verkauf – egal, ob es eine super Limited-Box für 45 EUR war, ein normaler Kauf oder ein Download bei Amazon, etc. Das ist auch der Grund, warum gerade in Deutschland diese ganzen Premium-Editionen und Boxen so verbreitet sind – in anderen Ländern bringen sie einfach nichts, bzw. höchstens etwas mehr Umsatz, für die Chartplatzierung sind sie irrelevant.
Downloads und Streaming
In Deutschland zählt ein Download weniger. Warum? Weil es eben nach Umsatz geht!
Der Preis eines Album-Downloads beträgt üblicherweise ca. 9 EUR. Somit würden drei Downloads (3 mal 9 EUR) nur knapp 2 CD Verkäufen entsprechen (27 EUR geteilt durch 14 EUR = 1,93 gewertete Verkäufe).
In den USA wird ein bezahlter Download, wie oben schon gesagt, genauso stark gewertet wie der Kauf des physikalischen Tonträgers. Persönlich empfinde ich das als zeitgemäß und richtig – ich sehe keinen Grund, warum ein bezahlter Download weniger stark gewertet werden sollte als der Kauf der CD.
Weiterer Fortschritt: Jedes mal, wenn durch den unabhängigen Download von Einzelsongs letztlich doch ein weiterer Album-Download voll gemacht wurde, zählt das in den USA inzwischen auch als ein Album-Verkauf. Diese Downloads müssen nicht zwingend von einer Person getätigt werden, sondern einer hat drei Songs heruntergeladen, ein anderer vier weitere, usw.
Auch das Streaming wird anteilig mit einbezogen, sowohl in Deutschland als auch in den USA.
Tag X Marketing
Das Marketing der Künstler wird heutzutage sehr stark darauf fixiert, dass die Verkäufe vor allem in der ersten Woche stattfinden.
Der Grund: Wenn sich in Deutschland zum Beispiel 30.000 Verkäufe gleichmäßig über mehrere Wochen verteilen, wird es nicht unbedingt eine herausragende Chartplatzierung geben. Finden diese 30.000 Verkäufe jedoch fast allesamt in der ersten Woche statt, kann das Album sogar auf Platz 1 gehen.
Sie sehen: Die insgesamt exakt selbe(!) Stückzahl kann zu einer völlig unterschiedlichen Platzierung führen, wenn sie zeitlich konzentrierter an den Mann gebracht wird.
Aufrufe wie „Jetzt vorbestellen“ oder „mein Album kommt am 5.3., nicht verpassen“ usw. tragen hierzu effektiv bei.
Generell wird das ganze Marketing Pulver (in Form von Interviews, Videoclips, Videoblogs, Autogrammstunden usw.) nahezu komplett in den Wochen vor dem Release verschossen, damit eben die Erstwochen-Verkäufe stimmen. Die Kunden sollen es kaum erwarten können und bei Veröffentlichung direkt in die Läden stürmen.
Die daraus resultierende höhere Chartplatzierung soll für weiteren Umsatz sorgen, da auch Radiosender usw. sich dann denken „oh, der ist so hoch in den Charts, den müssen wir spielen“. Die Chartplatzierung ist dann also nochmal eine Werbung für sich.
Früher war es absolut gängig, dass ein Album zunächst auf Platz 34 (oder sonst wo) einsteigt, in der nächsten Woche vielleicht auf 22 klettert. Dann kommt ein weiterer Videoclip raus, neue Interviews, etc. und das Album klettert sogar auf Platz 6. Die nächste Single schlägt richtig ein, das Album profitiert davon und geht noch auf die 1. Da hält es sich drei Wochen und fällt dann langsam wieder ab. Früher normal, heutzutage absolut selten! Heute ist es eher so: Platz 1, Platz 25, Platz 54, die Woche darauf nicht mal mehr Top 100.
Weiterer Unterschied zwischen den deutschen und amerikanischen Charts
In den USA ist die genaue Anzahl an Verkäufen öffentlich einzusehen, während in Deutschland nur die Platzierungen bekannt gegeben werden. Warum? Die GfK Entertainment bewahrt sich dadurch ein gewisses Monopol. Möchte man in Deutschland die Verkaufszahlen von irgendeinem Album in Erfahrung bringen, so benötigt man einen GfK-Account. Dort kann man sich einloggen und sich die Verkaufszahlen von jedem beliebigen Album ansehen.
Wäre dann doch schön, wenn irgendjemand, der einen GfK-Account hat, die Verkaufszahlen einfach weiter verbreiten würde, nicht wahr? Da hat man sich aber abgesichert: Wer einen GfK-Account kauft, muss im gleichen Atemzug zustimmen, dass man die dort einsehbaren Daten niemals an Dritte weitergibt.
Ein solcher Account kostet übrigens mehrere Tausend Euro im Jahr.
Sind Charts überhaupt nützlich?
Müsste ich mit JA oder NEIN antworten, würde ich NEIN sagen. Was sagen Verkaufszahlen über die Qualität der Musik aus? Zunächst einmal nicht viel. Sie sagen eben eher etwas darüber aus, wie gut das Produkt vermarktet wurde, wie viel Wirbel in den Medien gemacht wird usw. Aber sprengen wir an dieser Stelle nicht den Rahmen…
Fazit
Sie wissen nun, wie die Musik Charts funktionieren und wie, vor allem in Deutschland, das Ranking gewissermaßen manipuliert, bzw. zumindest optimiert, werden kann.
In weiteren Artikeln geht es darum, wie viel die Künstler wirklich an einer CD verdienen, ob man durch Plattenverkäufe noch reich werden kann, ob Downloads bald die CD ablösen und was das Streaming für einen Einfluss auf das Musikgeschäft hat.
Quelle: http://mixingundmastering.de/2…die-charts-funktionieren/