Das Lied (also das der Hosen) hat mich zunächst ratlos zurückgelassen. Ähnlich, wie es mir mit "Unter den Wolken" und "Feiern im Regen" ergangen ist - die Parallele wurde hier ja auch schon häufig gezogen. Wenn man so lange nichts von einer Band hört, die einem einfach viel bedeutet, dann stecken einfach wahnsinnig viele Erwartungen dahinter, die sicherlich seitens der Band schwer zu erfüllen sind - zumal sie mittlerweile so viele unterschiedliche Fan-"Sorten" erarbeitet hat. Die wichtigste Erkenntnis solcher Songs ist sicherlich: Die Hosen machen nicht mehr in erster Linie Musik für die Die-Hard-Fans - sondern um Spaß zu haben. Ein Stück weit haben sich die Hosen von ihren Fans emanzipiert, um zu machen, worauf sie Lust haben. Da kann man hier noch so sehr über "Das ist der Moment" quengeln - die Band mag den Song, also ist er fest in der Setlist der Hosen verankert.
Ich finde immer, man muss das mit einpreisen, wenn man Musik der Hosen im Jahr 2022 für sich bewertet. (Unabhängig davon, ob man das gut oder schlimm findet.) Es bleiben immer noch Nischen für die "alten" Fans ("Urknall", "Alles mit nach Hause"), aber längst ist die Schnittmenge mit den "Event-Fans" deutlich größer, als die der "Wort zum Sonntag" - Jünger. Mir ist bewusst, dass das jetzt keine ureigene, neue Interpretation des Status Quo der Hosen ist, aber mir ist diese Betrachtung doch ziemlich wichtig, denn fast alle Kommentare hier stellen den eigenen Maßstab in den Fokus, was auch seine Berechtigung hat, denn Musik in Kombination mit Fantum ist immer maximal parteiisch. Ich versuche trotzdem immer, auch ein Stück weit die Intention der Band mit in die Gleichung mit einzubeziehen. Campino also steht auf Marteria, Marteria auf die Hosen, sie erleben diese Anekdote ("Scheiß Wessi!") und es entsteht diese Idee. Ich finde das Thema Ossis/Wessis maximal öde, da deutsche Erzählungen eigentlich immer entweder im Nazi-Kosmos spielen oder eben entlang der einstigen Mauer. Aber, wie oben geschrieben, die Intention kann ich nachvollziehen. Das Timing ist sicher maximal unglücklich, wie die Hosen selbst im Newsletter zugegeben haben, denn gerade jetzt erscheint nichts banaler als die Befindlichkeiten eines vor über 30 Jahren vereinten Landes, das in maximalem Frieden und Wohlstand (im Vergleich zum Rest der Welt) lebt. Musik ist halt nur bedingt ein aktuelles Medium und hinkt immer ein wenig der Realität hinterher, gerade, wenn wie bei den Hosen, ein ganzer Tanker bewegt wird, ehe ein fertiges Album oder ein fertiger Song im Hafen ankommt. Und ich muss an dieser Stelle auch sagen, dass ich die Hosen durchaus dafür mag, dass sie nicht alle 12 Monate das Gefühl haben, sie müssten sich jetzt zu diesem oder jenem musikalisch verhalten.
Das Riff, das sich in den Teasern andeutete, fand ich durchaus spannend. Umso überraschter war ich dann, wie schnell es im eigentlichen Song ins Marginale vertrieben wird, sobald der Konserven-Sound und Campinos Sprechgesang übernimmt. Der erste Hördurchlauf war dann, diplomatisch formuliert, sehr zwiespältig. Ich mochte den Gesang sogar, mochte auch den Witz an der einen ("Lesen die Bild / aber nur das Feuilleton") oder anderen ("Den Krebs könnt ihr behalten / in eurer Charité") - nur werden Gags in einem Song nicht besser, je öfter man sie hört. (Ein ähnliches Schicksal erleidet in meiner Playlist denn auch "Wie viel Jahre", auch wenn ich den Song sehr mag.) Und vieles im Text ist auch handwerklich eher dünn ("Pillenstadt" als Reim auf "Autostadt", "Mit Leipzig und Seele"), da hat Marteria mit "Asbest as you can" und der Tesla-Pointe ein bisschen besser abgeliefert. Auch erging es mir so, dass ich mich nach fünf, sechs Durchläufen ein paar Stunden später überhaupt nicht mehr an den Refrain erinnern konnte; der wirkt auf mich auch nach wie vor wie eine gute Skizze, aber nicht zu Ende gedacht, eine ordentliche B-Seite.
Mittlerweile habe ich mich mit dem Song angefreundet, kann mir aber nicht vorstellen, dass er bei mir ähnlich wächst wie "Wannsee" oder "Unter den Wolken", die ich bis heute immer gerne auspacke, sobald die Sonne rauskommt. Was bleibt unterm Strich? Die Hoffnung, dass unter den wenigen weiteren neuen Songs auf dem Jubiläums-"Album" noch zwei, drei Perlen sind, die mich komplett abholen. Mehr will ich nicht. Denn ich will nicht, dass mir Veröffentlichungen der Band irgendwann egal werden. Davor habe ich am meisten Angst.