Ich muss meiner Buchbesprechung voranstellen, dass dies - wie sicherlich für viele andere hier auch - ein sehr spezielles letztes Hosen-Jahr war. Und dass, obwohl die Vorzeichen ganz anders gelagert waren: Auf die Unplugged-Konzerte (ich hatte Tickets für Köln und die Loreley) hatte ich mich wahnsinnig gefreut. Weil ich damals Wien und das Burgtheater und die initialen Konzerte in der Tonhalle verpasst und mich auf diesen speziellen und für mich neuen Rahmen gefreut hatte. Natürlich würde ein solcher Abend nie den Krawall des SO36-Konzerts aufwiegen können, aber das war auch nie Sinn und Zweck. Außerdem war mein Plan, lieben Freunden einen anderen Zugang zu meinen geliebten Hosen zu gewähren.
Und dann kam. Tja, Corona.
Und ich verlor die Hosen zunächst aus den Augen. Da es irgendwie für mich nicht der Krisen-Soundtrack war, den ich gebraucht hatte. Die Hosen haben stets überwiegend große, ernste Themen behandelt und haben vor allem immer an die eigene Stärke in diesem Schweinesystem appelliert. Ich aber brauchte Zerstreuung. Also habe ich wirklich viel Musik gehört, aber wenig Hosen. Als dann ein neues Album in der Luft lag, schlug mein Herz wieder schneller. Ich war gespannt auf das, was die Hosen aus der Situation machen würden. Immerhin kam das Album „spät“ genug, um mehr zu sein, als ein hilfloser Impuls, dem viele Bands gefolgt sind (Bands, die in Teilen freilich auf weniger Rosen gebettet sind als die Hosen). Mein Herz schlug genau so lange schnell, wie sich herausstellte, dass ein neues „Learning English“ in den Startlöchern stand.
Um es ganz hart zu sagen: Das Album hat mich rund um die Veröffentlichung kalt gelassen, wie ich es sonst nur von Bands kannte, die ich früher mal geil, aber mit der Zeit aus den Augen verloren hatte (Beatsteaks, Muse, Billy Talent, Die Ärzte). Was mich ziemlich erschreckte. Ich wollte nicht, dass die Hosen so mitlaufen. Das ist nicht der Platz, der in meinem emotionalen Kosmos für sie vorgesehen ist. Aber nachdem mir mein Herzensverein Werder Bremen in der härtesten Corona-Phase wie der Fußball allgemein ein wenig entrückt war, so ging es - für den Moment - eben auch mit den Hosen.
"Hope Street" habe ich dann zu Weihnachten geschenkt bekommen und auch relativ zügig gelesen. Und ich muss ehrlich zugeben, dass ich nie erwartet hätte, dass Campino ein solch nerdiges Fußball-Buch veröffentlicht. Ich selbst bin wirklich ziemlich bekloppt, wenn es um Fußball geht und kann mich da sehr gut reinsteigern - aber das, was Campino betreibt, ist absoluter Wahnsinn. Die Reise in die Wüste. Der Besuch von belanglosen Pokal-Spielen und on top die fehlende Bereitschaft, selbst Familienurlaube nicht einem einzigen verdammten Spiel unterzuordnen. Ich kenne das selber, wie nervös ich werde, wenn ich Werder-Spiele nicht live verfolgen kann - aber wenn das aus einem guten Grund so ist, dann ist das so. Vielleicht ist es zu viel hineininterpretiert, aber auf diese Weise kann Campino eben wunderbar seiner Egozentrik nachgehen. Auch, indem er permanent unterstellt, er selbst habe wirklich Einfluss auf die Leistungen Liverpools. Klar, streng genommen hat das jeder Fan, der im Stadion alles tut, um den eigenen Verein nach vorne zu peitschen, denn nur mit einzelnen ensteht das Kollektiv. Aber es ist halt ein schöner Grund, sich selbst sehr wichtig zu nehmen.
Und doch hatte ich großes Vergnügen, all das zu lesen. Dieser Wahnsinn, nachts am Kicktipp-Spiel zu sitzen während Corona, um ein Ventil zu finden. Diese komplette Hingabe, diese unzerstörbare Leidenschaft, das hat mich auf eine andere Weise auch sehr beeindruckt. Ich finde es toll, wenn Menschen sich etwas komplett verschreiben können, wenn sie ihre Energie auf etwas verwenden, ohne zu wissen, ob man dafür belohnt wird. Aber ich hätte eben nicht erwartet, dass Campino diesen Wahnsinn so ungefiltert dokumentiert und allein das macht das Buch für mich absolut lesenswert. Zumal es am Ende ja doch viel mehr ist, als nur eine Aneinanderreihung von Spieltagen.
Wenn Campino den roten Faden "England" immer wieder aufgreift, um seine Familiengeschichte zu erzählen, war ich nicht selten ziemlich gerührt - und musste sehr lachen, dass er noch heute die Namen seiner imaginären Spieler aus Kindertagen erinnert. Ich selbst sitze gerade in diesen Wochen vor Kisten mit unzähligen Briefen aus dem Archiv meines Vaters und fühlte mich wahnsinnig inspiriert, durch Campinos biografische Rückblicke, mich viel intensiver mit dem Leben meines Vaters und der Familie auseinanderzusetzen.
Hinzu kommt der bekannte Witz, der immer wieder aufblitzt, das Buch wird nie zu ernst oder zu läpsch, Campino schafft es ganz gut, die Spannung aufrecht zu erhalten. Ich bin sehr froh, dass Campino sein erstes Buch nicht dafür genutzt hat, um eine Hosen-Biografie darin zu verpacken. Natürlich kommen ikonische Ereignisse der Hosen-Historie vor, dabei aber nie aus Selbstzweck, sondern immer mit einer Verbindung zu seinem Leben außerhalb der Hosen.
Durch die sehr detailliert dargestellte Liebe konnte ich letztlich auch meinen Frieden mit der aktuellen "Learning English" schließen, da sie in Kombination mit dem Buch für mich keinen uninspirierten Corona-Schnellschuss mehr darstellt, sondern eine Herzensangelegenheit. Und so bleibt dieses Album für mich vielleicht eher das belanglose Pokalspiel gegen einen unterklassigen Gegner. Aber es immer noch ein "Spiel" meines "Vereins".