Lieber Campino,
liebe HOSEN,
leider
kam ein Interview vor Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht mehr
zustande. Dabei hätte ich wirklich so gerne über einiges gesprochen und
hatte auch schon lange bevor ich „Ballast der Republik“ in den Händen
hielt alles schön zurechtgelegt. Es gebe so viel
Grundsätzliches, was mir auf den Nägeln brennt, weit ab von „Hosen
2012“. Warum du für die formidable neue Platte mit dem notorischen
Szene- und Fachmagazin „Bild am Sonntag“ unbedingt mal über alles reden
musstest, zum Beispiel. Die Headline war „Wie fünfzig ist Campino?“ und
es ging irgendwie die ganze Zeit um das flache Entzaubern von Klischees.
Kein Aftershow-Sex, keine Groupies und – ohoh, das gibt es sogar auch
bei Rockstars? Verletzlichkeit. „Harmloses Geplänkel“ ist glaube ich der
Fachausdruck dafür. War das nötig? Auch, wenn es inzwischen Tradition
geworden ist, müssen die HOSEN doch wirklich nicht dort stattfinden...
Oder
die Frage nach dem Selbstbild. Bist du Alt-Punk oder doch inzwischen
Popstar? Die „Mutter Beimer“ der ehemaligen Drei-Akkord-Kompanie – immer
da, nicht immer geschmackssicher, aber das reine, schmerzfreie Gewissen
einer ganzen Generation? Ich glaube, dass deine Antwort auf alle Fälle
diplomatisch ausfallen wird. Ein bisschen was aus der Richtung „schon
kontrovers und kämpferisch“, aber auf jeden Fall nicht ohne ein
einschränkendes „Aber heute sehe ich auch, dass sich Utopien nicht auf
der Straße durchsetzen lassen!“. Irgendwie etwas in dieser Richtung, ein
bisschen Joschka Fischer, ein bisschen Rudi Dutschke, ganz viel
Eloquenz und Erkenntnis. Fast ein bisschen Esoterik. Und das ist auch
gut so, denn ein 50-Jähriger, der mit Klassen- und Straßenkampf-Lyrik
den Blätterwald planiert, kann nicht wirklich für voll genommen werden,
auch und gerade als Utopist nicht. Du siehst, ich hätte echt
Klärungsbedarf. Nicht, weil ich dir ans Bein pissen will. Wer bin ich
schon, dich zu kritisieren, in dem Jahr, in dem ich geboren wurde, hast
du Abi gemacht (mit zwei Jahren Verspätung). Ich will dir also nichts
vom Leben erzählen. Das machst du schließlich selber desöfteren.
Globalisierung, Wale, Nazis, Kirche, Bühne und Film, Fußball, Politik
groß und Politik klein – please, just stop preaching. Oder? Was ich
meine, ist diese Präsenz. Gibt es zwischen Alice Schwarzer (irgendwie)
links und Bettina Böttinger rechts noch irgendwelche Redaktionen, die
deine Nummer nicht im Redaktionsadressbüchlein haben?
Die Sache
mit der G8-Show damals in Rostock. Klar, wichtiges Thema. Aber fandest
du das nicht etwas aufdringlich? In gesponserten Puma-Turnschuhen made
irgendwo in Asien, zusammen mit den anderen Betroffenheitskünstlern, die
über ihr Engagement vergessen, mal wieder relevante Platten zu machen.
„Bitte, Campino“, das war es, was ich damals dachte und dir gerne
zugerufen hätte, „bleib einfach relevant und die Leute werden dir weiter
zuhören.“ Bono hätte neben dir auf der Bühne gestanden und – ich kenne
seine Deutschkenntnisse nicht - nichts verstanden. So oder so. Und alle,
alle waren sie nicht wegen der Sache, sondern wegen des Line-ups da,
wetten? Ob gegen Globalisierung oder für Robbenschlachten: austauschbar.
Genau
so, wie das „Nazis raus“-Mantra auf euren Konzerten. Das ist sicher gut
gemeint, aber ist das dort, in der Gemeinschaft der Einigen, wirklich
nötig? Schließlich sprechen eure Songs doch für sich und jeder, der
seine fünf Sinne halbwegs beisammen hat, weiß, wo ihr steht und vor
allem wo er zu stehen hat. Eine Erklärung interessiert mich brennend.
Und
dann eins noch, bevor ich zur neuen Platte und den vielen, vielen
tollen Momenten kommen werde: Es geht um Narzissmus. Der BamS hast du
gesagt, du würdest dich nicht selber googlen. Der Subtext war:
„Interessieren Sie sich dafür, was andere über Sie denken?“ Ich glaube
dir nicht, dass dich das nicht interessiert. Du bist so meinungsfreudig,
du exponierst dich ständig selbst. Und das auf eine gute Weise, klar.
Es wird spannend werden, dir die Antwort zu entlocken. Ich hätte ein
„Darf man als Linker ein Narziss sein? Darf man als Linker, dazu noch
als Ikone der deutschen Punkszene, sich selbst exponieren und von der
Sache völlig loslösen und dann belanglose Interviews in der
Springer-Presse geben? Hat man als Campino, als Frontmann der HOSEN, als
eigentlicher Homo Politicus, nicht immer im Kriegszustand mit
irgendetwas zu sein?“
Du siehst, meine Fragen sind zwar kritisch,
aber von einer sehr wohlwollenden Warte aus. Denn spätestens mit dem
„Ballast der Republik“ habe ich schon viele Antworten bekommen. Ich
hätte mit dir auch über Politik reden wollen und dann knallst du mit
„Europa“ mal eben den gleichzeitig
schönstenreduziertesteneindringlichsten Song zum Thema Menschlichkeit
raus und ich verstumme in stiller Freude über so viel Relevanz einfach.
Meine Meinung zur Platte hast du ja sicher schon im aktuellen
WAHRSCHAUER #61 gelesen. Genau, die Ausgabe, in die im Übrigen ein
Poster von eurem Gig neulich reingetackert ist.
Ende Mai habt ihr
euren Tourauftakt in Frankfurt / Oder gespielt und ich war da. Klar,
die Halle voll, die Leute auch. Angefüllt mit Erwartungen. An euch, ans
Leben, an die zwei Stunden HOSEN. Und kaum war Onkel Wölli von der Bühne
war allen klar, dass alle deine hochkulturellen Wende(rs)manöver,
altersweisen Presseplaudereien (ich weiß, du kannst nichts für flache
Fragen) und alle Breitbandbetroffenheitsveranstaltungen völlige
Makulatur, ja sogar einfach zu dir passende und vielleicht sogar dich
konstituierende Wichtigkeiten sind. Denn was zählt ist auf´m Platz und
da liefert ihr nach wie vor ab, wie kaum eine zweite Band eurer
Größenordnung. Dort gibst du nicht den Missionar, sondern lässt eure
Songs einfach für sich sprechen. Und du merkst, die Leute hören dir zu,
sonst wären sie nicht nach 30 Jahren immer noch da. Ihr habt knapp über
30 Songs gespielt, davon nicht weniger als 13 ziemlich frische. Und das
ist gar nicht aufgefallen, das größtmögliche Lob für Altrocker wie euch.
Schon allein, wenn Kuddel das „All die ganzen Jahre“-Anfangsriff
schrebbelt, du dich durch die erste Strophe röhrst und dann im
Grätschsprung am Mikro hochtobst. Zeitlos, alterslos. Klar, manch einer
wird manches vermisst haben, ein paar wollen noch mehr alte Schinken,
„Sascha“ statt „Schrei nach Liebe“ und und und. Aber das sind nun
wirklich Kleinigkeiten, denn am Ende hat man ein überaus homogenes
Konzert erlebt. Ich bin jedenfalls mit dem sehr guten Gefühl nach Hause
gegangen, dass du dir deine Ausflüge in Gewässer von unterschiedlicher
inhaltlicher Tiefe und auch manches Auswärtsspiel in verschiedenen
gesellschaftlichen Arenen erlauben kannst. Nach wie vor. Denn die
Hausaufgaben sind gemacht.
Ach, eine Frage hätte ich doch noch:
Vor knapp zehn Jahren haben dich die Deutschen auf Platz 65 unter den
bedeutendsten aus ihrer Mitte gewählt. Wo stündest du heute? Eigentlich
egal, denn so lange du auf der Bühne stehst, bist du jederzeit unter den
Top 20. Mindestens. Können wir nochmal über alles reden? Ich hab Zeit.
Weißt du was, Campino? Mach einfach, was du willst. Alles Gute zum 50.!
http://www.wahrschauer.net/mus…-an-die-toten-hosen-.html