„Deutschland im Herbst“ wurde nach den tragischen Ereignissen in Rostock, Mölln, Solingen, Hoyerswerda etc. geschrieben, als Reflektion auf die Geschehnisse. Der Text entstammt einer Situation an der die Onkelz zwar unschuldig, aber dennoch Teil von waren – viele Hassmenschen vor Ort, die „Sieg heil“ riefen oder Steine und Molis warfen gegen die Asylunterkünfte, hörten Onkelz. Klar, sicher auch Slayer oder Roxette – aber eben auch Onkelz. Natürlich nicht so gewollt seitens der Band, die sich zum Zeitpunkt der Tragödien bereits seit 5 Jahren als andersdenkende Band verstand als der Ruf, der ihr voraus eilte. Es erschüttert die Band, man will reagieren.
Namensgebung ist ein Film aus dem Jahr 1978, der ebenfalls „Deutschland im Herbst“ heisst und die RAF und ihre Terrorwelle, die Todesnacht von Stammheim fokussiert. Der brutale linke Terror also, der die Nation in den 70ern erschütterte – die Onkelz zeigen mit derselben Bezeichnung, passend zum Herbst 1992 in Deutschland, auf dass auch rechter Terror 15 Jahre später schlimmer ist als je zuvor... Allein dieser Vergleich macht die Gräueltaten in dieser Zeit deutlich.
Warum ist „Deutschland im Herbst“ ein so genialer Text, ein so starker Song – gewichtig und wichtig? Ich versuche den Text mal auseinanderzunehmen...
Intro – gesprochen vom Radiosprecher, während im Hintergrund eine traurig-leidende Melodie die Worte umrahmt:
„Rostock: nach den gestrigen Ausschreitungen vor der zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber in Mecklenburg-Vorpommern, lieferten sich auch heute rund 1000 meist jugendliche Rechtsradikale Strassenschlachten mit der Polizei. Bei den zum Teil bürgerkriegsähnlichen Krawallen gingen die Randalierer mit Steinen, Flaschen und Feuerwerkskörpern gegen die Sicherheitskräfte vor. Mehr als 110 Beamte wurden zum Teil schwer verletzt. Die Rechtsradikalen, die aus dem ganzen Bundesgebiet anreisten, drangen in das Erdgeschoss des Asylantenwohnheims ein und steckten, unter dem Beifall von rund 2000 Schaulustigen, Wohnungen in Brand. Die Polizei nahm 60 Personen fest. Das Ausland reagierte in Erinnerung an das nationalsozialistische Deutschland, auf die anhaltenden Unruhen im Stadtteil Lichtenhagen, mit Sorge über zunehmenden Fremdenhass..“
Ich sehe alle gegen alle
Jeder gegen jeden
Keine Achtung vor sich selbst
Keine Achtung vor dem Leben
...bezieht sich auf die Randale von Hassmenschen, von Polizisten, von Autonomen/Linken, von unzähligen Mitläufern, die sich gegenseitig angreifen, Menschen die nur die Gewalt haben um sich „artikulieren“ zu können.. gegen Unschuldige; die Asylsuchenden. Eine Art Anarchie mit dem Faustrecht als Grundlage, ausser Kontrolle, ohne Wertschätzung des Menschen und des Lebens...
Ich sehe blinden Hass, blinde Wut
Feige Morde, Kinderblut
Ich sehe braune Scheisse töten
Ich sehe Dich...
...der Hass, die Wut; der rechte Pöbel, der enthemmt und losgelöst von jedem Schamgefühl, jeder Empathie, sich durch Hass und Wut befreiend vom persönlichen Frust aus Unzufriedenheit und Versagen, auf unschuldige, hilfesuchende Menschen, und somit das schwächste Glied, stürzt und mit primitivstem Verhalten all das Hässliche aufzeigt, was der Menschen in sich hat.
Die Onkelz erkennen in diesem Mob ihr Publikum und zeigen mit dem Finger verurteilend auf diese "Fans", die sich just in dem Moment das damals neue Album gekauft haben und den Song hören: „ich sehe DICH“; nachdem deutlich geschildert wurde, wie ekelhaft, widerlich, unmenschlich und niederträchtig diese Art von Aktion, diese unfassbar menschenverachtenden Taten, ist/sind.
Deutschland im Herbst
Ich höre weisse Geräusche
Rassenreine Lieder
Ich höre hirnlose Parolen
Von Idioten und Verlierern
...was hiermit gemeint ist, sollte klar sein. Die vielen „Sieg heil“-Rufe von nicht offensichtlichen Nazis, die aufzeigen, dass auch vermeintlich normale Menschen dreckbraunes Gedenkengut in sich tragen, sind zusätzlich beängstigend und alarmierend. Diese Hassmenschen als „Idioten und Verlierer“ zu betiteln sollte die Abgrenzung und Ablehnung der Onklez dem Pöbel gegenüber gut aufzeigen – grad eben in Kombination mit dem Satz „ich sehe dich“ aus der ersten Strophe, wo man sich für die eigenen Fans unter diesen Hassmenschen schämt, sie verurteilt, sie mitverantwortlich macht und sie ausgrenzen möchte – man ist sich der Fans bewusst und übernimmt Verantwortung!
Ich höre die Lügen der Regierung
Die Lüge eures Lebens
Die Lüge über uns
Ich höre Dich...
...die Bullen kamen nicht, zumindest viel zu wenige, keiner fühlte sich zuständig, die Situation eskalierte stündlich, niemand schien sich damit beschäftigen zu wollen – die Lügen der Regierung, dass eben keine Polizei so schnell zur stelle sein konnte, dass man im Vorfeld nicht mit einem solchen Hass hätte rechnen können, dass man nicht hätte antizipieren könne, dass es zu Ausschreitungen kommt, dass niemand verantwortlich sein konnte – jeder wollte sich raus halten, keiner wollte sich die Finger verbrennen, niemand wollte die Verantwortung übernehmen – es wurde runter gespielt..
Dazu die Hassmenschen, die ihren persönlichen Frust auf die Asylsuchenden übertrugen und entladen mit schlechten Begründungen, mit fadenscheinigen, nicht nachvollziehbaren Motiven, die eigentlich nur ihre eigene Unzufriedenheit, ihre Ängste, ihre Dummheit, ihre Unzulänglichkeit und ihren eingeschränkten Horizont aufzeigen... sich selber belügend in der Hoffnung, sich so das „Recht“ zu erschleichen, Unschuldige für ihre Probleme bluten zu lassen.
Die Regierung war im Vorfeld zu langsam, man bereitete nichts vor – dann die zutiefst beschämenden Ereignisse und niemand wollte die Verantwortung übernehmen... nur auf die Onkelz konnte man mit dem Finger zeigen und sie mitverantwortlich machen für die schrecklichen Taten, weil sie als bekannte Skinband mit anno 1992 top-10 Chartsplatzierung die Stimmung mit ihren Liedern aufheizten.. da wurde dann schnell und einfach ein schuldiger gefunden. Übertrieben? Nicht wirklich, wenn man sich zurück entsinnt an die Reportagen, Berichte und Diskussionen von damals. Selbstmitleidig? Nein. Einfach nur ein Ohnmachtsgefühl, die Hände gebunden, machtlos seitens der band – man musste den Kopf herhalten für etwas, das man selber zutiefst verabscheut.
Deutschland im Herbst