• Wieder ne band, die schon immer mal sehn wollte, die zu weit weg spielt, genau so wie iggy pop&the stooges. das gibts doch nicht ;(


    Bleibt nur zu hoffen, das die auch zu irgend nem fastival nach deutschland kommen. da würd ich auf jeden fall hinfahren.

    I want to conquer the world, Give all the idiots a brand new religion,
    Put an end to poverty, uncleanliness and toil, Promote equality in all my decisions


  • Habe in den letzten Tagen seit laaanger Zeit mal wieder das "Nevermind the Bollocks" Album der Pistols gehört - immer und immer wieder. Und es fährt mir wieder ziemlich ein. Ich erinnere mich an das Jahr 1990 oder 91, als ich die Scheibe einem Junkie auf der Gasse für 2.- abgkauft habe - kanadische Pressung im roten Cover. Damals war die Scheibe für mich ein riesen Ding.. Und ich weiss auch heute noch warum.


    Keine Ahnung warum es so modern wurde die Pistols abzulehen und stattdessen die RAMONES dermassen zu mögen - vielleicht dank C&A oder H&M...
    Oder weil die RAMONES zuerst waren. Oder weil man den Pistols unberechtigterweise ein Casting nachsagt. Oder weil das RAMONES Shirt cooler aussieht..?
    Egal, ich kann es nicht verstehen. Für mich waren die Pistols zu jeder Zeit wilder, dreckiger, rauher und mit mehr power als die Amis. Würde die Pistols den Ramones jederzeit vorziehen. Aber bin auch der Meinung, dass man diese 2 Bands nicht mal unbedingt vergleichen kann und sollte.


    "Pretty vacant", "Seventeen", "God save the Queen", "Bodies", "Anarchy in the UK" - Knaller!! Kein Füllmaterial! Logischerweise ist das "Nevermind" Album das einzig WAHRE Sex Pistols Album - alles was danach noch kam ist albern. Aber dieses Debütalbum hat es eben in sich... der pure Dreck!


    Ich konnte die Pistols im Sommer 1996 live erleben und war einfach glücklich - auch wenn irgendwelche Puristen den Auftritt für lächerlich hielten und die Band ihn wohl nur des Geldes wegen gemacht haben. Mir war das wurst. War ein klasse Sommer und dank dem Konzert (Open Air, St. Gallen) hörten auch viele Kumpels, die vorher nichts mit den Pistols anfangen konnten, diese Musik. Alle fanden's geil!


    Sid Vicious? Rotten sagte ja, er sei ein Kleiderständer gewesen auf der Bühne.. Wie Walter November anfangs bei den Hosen. Ich hasse ihn nicht, er sah halt aus wie der absolute Vorzeigepunk und verhielt sich auch so. Aber musikalisch war ich IMMER, auch schon mit 14, bei Glen Matlock! Super Bassläufe, ohne sich aufzuspielen.

  • Keine Ahnung warum es so modern wurde die Pistols abzulehen und stattdessen die RAMONES dermassen zu mögen


    ich find beide nur so la la. ich denke heutzutage wird immer ein 3er gespann als die großen bands des oldschool punk bezeichnet: ramones, sex pistols und the clash. ich bin dann eher bei letzteren zu hause, die vor allem in deutschland bezüglich den beiden ersteren maßlos unterschätzt werden. überall auf der welt haben the clash den status von rocklegenden, nur in deutschland führen sie außerhalb von punk und reggea freunden (und selbst da...) ein schattendsein. sie sind schlicht zu cool für dieses steife land.


    aber ist ja ein pistols thread und auch wenn ich sie hier schonmal gedisst hab und von dir schön contra gekriegt hab (vielleicht auch zu recht) und ich sie in der tat nicht so aufregend finde, ist doch "anarchy in the uk" einer der besten punk rock songs die je geschrieben wurde. wie viel aufgesetzte attitüde und wie viel herz hinter dem text steht möchte ich gar nicht diskutieren, aber der song hat seine spuren hinterlassen. und das völlig zu recht.

  • The Clash sind eine Nummer für sich, wie ich finde - noch weniger zu vergleichen mit den Pistols und den Ramones als die Pistols mit den Ramones.. Ihr Dub/Reggae/HipHop/Punk/Pop-Crossover sucht ihresgleichen. "Sandinista" ist ein so krasses Album!


    Für mich ist genau das das Problem bei den Ramones - 1000 Jahre aktiv und alles klingt ähnlich (zumindest was ich kenne - da mich die Band nie vom Hocker riss, habe ich nicht alles von ihnen). Monotone Stimme. Ok, mal moderner produziert - aber eigentlich für mich monoton und schnell langweilig.
    Die Pistols gab es halt nur kurz und ihre echten Songs hatten meist viel Substanz und Dreck! Für mich ist das mehr "punk" als die Ramones, die eigentlich immer wie eine Speed-Version von den Beach Boys klangen, über die alle Punks lachen. Von den Ami-PUNK-Bands (damit mein ich nicht MC5 oder die Stooges) finde ich mit Abstand Dead Boys am geilsten. Auch vor Thunders/New York Dolls. Die waren eben auch sehr dreckig - man nehme "I need lunch" oder "Sonic reducer"! Und die alten Misfits mag ich auch - sowas wie Wegbereiter musikalisch für den Surf/Skate-Melodic-Punk, den Bad Religion später spielten.


    The Clash haben ein Level für sich. Grossartige Band!!

  • Die "Never mind the Bollocks" ist eine der großartigsten Platten der Rockgeschichte. Diese Platte hat die ganze Punkbewegung vorangeschoben. Auch die frühen "Oi!"-Bands sind von den Pistols maßgeblich geprägt - mag das heute auch immer so dargestellt werden, als habe man sich in dieser Generation dann von den Pistols und den frühen Punks abgegrenzt, was Quatsch ist: Man muss sich mal nur die frühen Singles z.B. der Cockney Rejects ansehen.
    Mein absolutes Lieblingslied der LP ist übrigens "Bodies". Es hagelt aber dennoch noch genug andere Hits.
    Was den Vergleich mit den Ramones angeht, sehe ich es auch so wie Pillermaik. Die Pistols waren die 100 Mal härtere Band als die Ramones. Das gilt überhaupt auch für den britischen Punk als solchen. Bestand die frühe US-Szene um das CBGBs (da mögen die Ramones zwar eine Ausnahme gewesen sein) v.a. aus verarmten Intellektuellen, und deren ganze Ästhetik und Ausdrucksform war eine andere (Gedichte rezitieren, Patti Smith usw.). Was etwas später in England als in NYC losging (ich will zwar auch für England den nicht unwesentlichen Einfluss der Kunsthochschulen auch nicht leugnen), war in jeder Hinsicht härter und perfekter und war viel anschlussfähiger an die Jugend: Die Entstehung des britischen Punks ist so auch nur vor dem Einfluss der grassierenden Jugendarbeitslosigkeit auf der Insel zu verstehen. Und da waren die Pistols enorm wichtig. Ich finde es auch lächerlich, wenn von den Protagonisten aus NYC immer so getan wird, Malcolm McLaren hätte alles nur aus den USA abgeschaut. Die Pistols selbst haben sich auch kaum später als die Ramones gegründet, sie hatten halt nicht so früh einen Plattenvertrag.
    By the way: früher US-Punk: Kennt jemand die frühen Sachen der Pagans? Sind meiner Meinung nach ähnlich gut wie Dictators und Dead Boys.
    Clash und Pistols würde ich auch nicht gegenüberstellen. Die Clash haben sich zwar sehr eigenständig entwickelt. Sie waren für mich persönlich auch die wichtigere Band als die Pistols. Allerdings stehen die frühen Sachen der Clash (auch ihr ganzes Auftreten) ganz unverkennbar unter dem Einfluss der Pistols. Joe Strummer hat das auch selbst so gesagt.

    "Work is the curse of the drinking classes." (Oscar Wilde)

    4 Mal editiert, zuletzt von Karl Arsch ()

  • Bei den Pagans habe ich über weite Strecken ein ähnliches Problem wie bei den Ramones: Zu monoton. Zu simpel. Zu platt.
    Da lobe ich mir klar die Dead Boys.


    Was die Pistols angeht: So richtig gab es die band erst um 1975 - da waren die Ramones schon früher dran..
    Aber eben, wenn man so puritisch an die Sache ran gehen will, muss man den Detroit Rock oder Garage Rock berücksichtigen; MC5, Sonic's Rendezvous Band, The Stooges oder auch The (Young) Rascals, die schon Mitte der 60er wütend und zornig und dabei höchst simpel klangen. Ebenso Them (Van Morrison) - man nehme "Gloria" - die band Love mit dem Traum-Album "Forever changes" oder die Sonics.
    Die Briten hatten dagegen die Kinks, die dreckig waren wie kaum wer um 1964. Auch die Animals waren eigentlich schlichter Punkrock-Vorbote. Auch geil finde ich Radio Birdman aus Australien.


    Es ist schweirig zu sagen wer zuerst war. Im Endeffekt ist das auch so lang wie breit. Was mich dabei "stört" ist die aktuelle Glorifizierung der Ramones, deren Gitarrist Johnny Ramone in seinem Privatleben so ziemlich alles gut fand und tat, was gegen die Einstellung des Punk spricht.

  • http://www.zeit.de/zeit-magazi…hn-lydon-punk-sex-pistols



    John Lydon
    "Mein Gehirn ist eine Zeitbombe"



    Als Sänger der Band Sex Pistols wurde John Lydon vor fast 40 Jahren zur Ikone der Punkbewegung und zum Schrecken aller Spießer. Nun hat er seine Memoiren geschrieben. Ein Interview von Christoph Dallach
    ZEITmagazin N° 19/2015 7. Mai 2015


    In einem abgelegenen Landhaus in einer Hügellandschaft nahe Oxford sitzt John Lydon auf einem Designersofa. Konzentriert starrt er auf einen Flachbildfernseher, in dem gerade ein TV-Koch erläutert, wie ein Lachs fachmännisch zu zerlegen ist. Als Lydons Manager die Besucher ankündigt – "The Germans!" –, faucht der Chef: "Schnauze! Ich will das hören!" Das Anwesen bietet neben fußballtorgroßen Kaminen auch ein modernes Musikstudio, in dem Lydon, der als Sänger der Sex Pistols unter dem Namen Johnny Rotten weltberühmt wurde, ein neues Album mit seiner Band PiL aufnimmt. Lydon, dem zu Sex Pistols-Zeiten der Ruf vorauseilte, enorm reizbar zu sein, vermittelt immer noch eine Ahnung von dauerhaft schlechter Laune.


    ZEITmagazin: Mister Lydon, vor 40 Jahren erklärten Sie mit Ihrer Punkband Sex Pistols dem Rock-Establishment den Krieg. Zuletzt verblüfften Sie die englische Öffentlichkeit mit Ihrem Auftritt in einem Werbespot für Butter. Geht das auch als Anarchie durch?
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    John Lydon: Absolut. Dass eine Butterfirma ausgerechnet auf mich als Werbeträger kommt, ist doch pure Anarchie. Gut, erst war ich skeptisch, und ich hatte die Befürchtung, dass in England mal wieder alle über mich herfallen. Andererseits bin ich mein Leben lang angefeindet worden. Und nun wurde ich zum ersten Mal anständig für den Trubel bezahlt.


    ZEITmagazin: Trotzdem stellt man sich vor, dass ein Punkrocker wie Sie mit Werbung wenig anfangen kann.


    Lydon: Irrtum – ich liebe die britische Werbung der frühen Siebziger, die war nämlich clever! Da wurde das Produkt oft einfach ignoriert. Eine tolle Haltung. Diese Tradition wollte ich wieder aufleben lassen. Ich nahm allerdings nicht an, dass das jemand verstehen würde. Aber als dann alle von meiner Butterwerbung begeistert waren, war ich doch sprachlos. So viel Jubel, weil ich Butterwerbung mache? Irre! Die Gage war kein Vermögen, aber immerhin konnte ich es mir danach leisten, meine Band PiL wieder zusammenzutrommeln. Und nun bin ich dabei, mit ihr ein neues Album einzuspielen.


    ZEITmagazin: War der Clip auch für die Butterfirma ein Erfolg?


    Lydon: Und wie! Ihr Umsatz stieg um 87 Prozent. Obendrein tat ich noch etwas Gutes für England, denn die Leute wurden daran erinnert, keine importierte Butter aus Dänemark oder Neuseeland zu kaufen, sondern die gute britische Butter. Was bin ich doch für ein toller Patriot!


    ZEITmagazin: Laut einer BBC-Umfrage zählen Sie zu den "100 größten Briten" aller Zeiten. Seit einigen Jahren leben Sie in den USA. Warum eigentlich?


    Lydon: Ich bin geflohen! Seit ich mit den Sex Pistols loslegte, wurde ich wie ein Staatsfeind behandelt. Die Polizei hat mich über Jahre hinweg terrorisiert. In London wurde regelmäßig mein Haus durchsucht. Das alles nervte einfach. Erst landete ich in New York, dann zog ich weiter nach Los Angeles, wo ich mich sofort wohlfühlte und nun sehr entspannt mit meiner Frau Nora lebe. Ich benötigte ein in jeder Beziehung wärmeres Klima. Wir zwei sitzen hier in England, es ist wieder mal kalt, und ich habe wirklich Angst, mich zu erkälten. Sonst habe ich eigentlich vor nichts Angst, aber Krankheiten und Viren machen mich panisch. Das sind die Spätfolgen meiner schlimmen Meningitiserkrankung als Siebenjähriger.


    ZEITmagazin: Damals lagen Sie sieben Monate im Koma und wären beinahe gestorben. Sie überlebten, aber Ihr Gedächtnis war gelöscht.


    Lydon: Ich hatte verlernt, zu lesen und zu sprechen. Als meine Eltern mich aus dem Krankenhaus abholten, erkannte ich sie nicht. Deshalb habe ich oft noch Angst davor, einzuschlafen und mit einem ausradierten Gedächtnis wieder aufzuwachen. Manchmal wache ich, von Panik geschüttelt, mitten in der Nacht auf und überlege, wie ich heiße. Ich hasse es zu jammern, ich erwähne das nur, weil so eine Erkrankung einen innerlich sehr widerstandsfähig werden lässt. Dass ich mal so ausschweifend über Gesundheit palavern würde, hätte auch keiner gedacht, oder?


    ZEITmagazin: Sind Sie denn heute gesund?


    Lydon: Meinen Sie innerlich oder äußerlich? Meine Hülle hat mit den Jahren gelitten. Aber mein Verstand ist so scharf wie nie. Viele Erinnerungen, die verschüttet schienen, sind zurückgekehrt. Es ist für mich eine erstaunliche Freude, dass ich seit einiger Zeit klare Erinnerungen an die meisten Ereignisse in meinem Leben habe.


    ZEITmagazin: Sie wurden vor 40 Jahren mit den Sex Pistols als wütendster Mann des Punkrock berühmt und berüchtigt. Lodert Ihr Zorn noch, oder sind Sie heute entspannt?


    Lydon: Entspannt? Was ist das? In meinem ganzen Leben war ich noch nicht entspannt! Ja, wenn ich ganz viele Pillen schlucke, die meine Daueranspannung lahmlegen, dann bin ich vielleicht auch mal kurz entspannt. Aber sehen Sie, mein Gehirn ist immer unter Strom, es tickt wie eine Zeitbombe. Aber das ist auf Dauer eben auch ganz schön anstrengend, vor allem wenn man älter wird. Aber ich bin immer noch bereit, sofort anzugreifen.


    ZEITmagazin: Waren Sie eigentlich schon als Kind so streitlustig?


    Lydon: Ich war ein schwieriges Kind. Ich hatte schon immer ein Problem mit Autorität. Ich mache meinen Mund auf, wenn mir etwas nicht passt. Im Religionsunterricht entfachte ich die Hölle auf Erden: "Entschuldigung, aber Sie können gar nicht beweisen, dass es einen Gott gibt!"; "Wunder gibt es nicht, wollen Sie mich verarschen?". Tja, damit kommt man in der Schule nicht weit. Allerdings war meine Wut immer mit Humor angereichert. Witz schlägt Wut um Längen. Das erkannte ich, als ich mit Humor den Prügeln unserer Schulhofschläger entkam. "Gib uns dein Taschengeld!", sagten sie, und ich antwortete: "Hab ich nicht dabei, aber kennst du diesen Witz?"
    "I am an anti-christ / I am an anarchist", schrie John Lydon als Johnny Rotten für die Sex Pistols ins Mikrofon.
    "I am an anti-christ / I am an anarchist", schrie John Lydon als Johnny Rotten für die Sex Pistols ins Mikrofon. © Graham Wood/Getty Images


    ZEITmagazin: In Ihren Memoiren schreiben Sie, dass Sprache immer Ihre bevorzugte Waffe gewesen sei.


    Lydon: Als ich damals lange im Krankenhaus lag, rettete mich die Bibliothek dort. Lange starrte ich einfach nur auf irgendwelche Seiten und versuchte, mich an die Bedeutung der Buchstaben zu erinnern. Literatur und Kunst brachten mich zurück ins Leben und halfen mir, mein Gedächtnis zu reaktivieren. Seitdem sind Bibliotheken für mich das Zentrum des Universums. Der Fähigkeit zu lesen verdanke ich das Gefühl, unabhängig zu sein. Sehr viel habe ich einem Englischlehrer zu verdanken, der mich zwar hasste, dessen Unterricht ich aber trotzdem liebte. Er erklärte mir sehr plausibel, worin die Magie des Lesens besteht. So kam ich zu Shakespeare. Wums! Shakespeare! Ich war sofort Feuer und Flamme. Wenn man den poetischen Beat von Shakespeare verstanden hat, gibt es kein Entkommen.


    ZEITmagazin: Sie mussten schon früh Verantwortung übernehmen und sich um Ihre drei kleinen Brüder kümmern ...


    Lydon: Es war einfach eine Notsituation, weil meine Mutter oft und lange krank war. Meine Eltern hatten für Selbstmitleid nichts übrig. Rückblickend war das das Beste, was sie mir mitgeben konnten. Das Leben ist zu kurz für Selbstmitleid.


    ZEITmagazin: Was verbindet Sie noch mit dem London, in dem Sie aufwuchsen?


    Lydon: Nichts. Vor zwei Jahren hat mich ein britisches TV-Team zu meinem Elternhaus gelockt, also zu der Sozialwohnung in Nordlondon, in der ich den größten Teil meiner Jugend verbracht habe. Da lebte mittlerweile eine sehr nette türkische Familie. Ich war vor allem überrascht, wie klein alles war. Ich hatte diese Drei-Zimmer-Sozialwohnung als riesig in Erinnerung, was vermutlich auch daran lag, dass ich die ersten Jahre meines Lebens in einer Zweizimmerwohnung mit Außentoilette verbracht hatte. Wer so aufwächst, versteht nicht, dass kein Geld da ist. Woher sollte man auch wissen, was einem fehlt, wenn man es nie zu sehen bekommt? Nur in der Fernsehwerbung sah ich Dinge, von denen klar war, dass sie unerreichbar sind. Mit zehn begann ich über die Welt jenseits unseres kleinen Viertels nachzudenken. Irgendwann wurde mir klar, dass es da draußen Menschen gibt, die viele Besitztümer haben, die sie mit Leuten wie uns nicht teilen wollen.


    ZEITmagazin: Ihre Memoiren tragen den Titel Anger is an Energy, Wut ist Energie. Wann waren Sie zuletzt so richtig wütend?


    Lydon: Früher explodierte ich ständig vor Wut wegen irgendwelcher Kleinigkeiten. Jetzt kanalisiere ich meine Aggressionen vernünftiger, nämlich nur noch in der Musik.


    ZEITmagazin: War Zorn Ihr Motor, als Sie mit den Sex Pistols loslegten?


    Lydon: Meine Songs sind und waren meine Wutschreie und meine Erlösung von all den Schmerzen. "Shout, shout, let it all out", sangen Tears For Fears mal, ein großartiger Song übrigens, der mein Leben perfekt beschreibt. Punk war ein Aufstand. Und Aufstände sind eine britische Tradition, die wir seit Jahrhunderten pflegen. Das Randalieren liegt uns im Blut. Viele Briten sind krankhaft dezent: Bloß nicht auffallen! Aber die zehn Prozent der Briten, die den Mund aufmachen, sind eine mächtige Gruppe. Wenn man mich überhaupt irgendwo einordnen muss, dann genau in diese Gruppe der Randalierer.


    ZEITmagazin: Gegen wen richtete sich Punkrock damals eigentlich?


    Lydon: Gegen alle, die uns als dumme Exzentriker abstempeln wollten. So wurden von der britischen Oberschicht schon immer die Leute abgetan, die sich nicht unterordnen wollten. Menschen aus der working class, die nicht dem britischen Kastensystem als Sklaven dienen mochten, wurden als Exzentriker belächelt und ignoriert – eine raffinierte Methode, selbstbewusste Individualisten und Systemkritiker zu verharmlosen. Das alles trieb uns an, als wir 1975 mit den Sex Pistols anfingen.


    ZEITmagazin: Gab es einen bestimmten Moment, in dem Ihnen klar wurde, dass die Sex Pistols so richtig einschlagen würden?


    Lydon: Dass wir diese Wucht hatten, war mir von Anfang an bewusst. Egal, wie heftig wir uns stritten: Immer wenn wir spielten, beim Üben, bei Konzerten oder im Studio, hatte ich das Gefühl, dass wir die Welt aus den Angeln heben können.


    ZEITmagazin: Sie haben nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass die Sex Pistols keine Freunde waren.


    Lydon: Wir konnten uns nicht ausstehen. Aber das war für mich eher ein weiterer Antrieb als ein Problem. Die Sex Pistols waren mein Ticket, einem Drecksleben zu entkommen.


    ZEITmagazin: Auch Ihr Verhältnis zu Malcolm McLaren und Vivienne Westwood, den Strippenziehern hinter den Sex Pistols, war schlecht. Was genau war das Problem?


    Lydon: Schlechtes Verhältnis? Wovon reden Sie? Wir hatten überhaupt keine Beziehung zueinander! Malcolm und Vivienne waren ein skrupelloses Paar, das mit unbedarften jungen Menschen wie uns völlig unverantwortlich umging. Aber jeder von uns in der Band scherte sich deshalb auch einen Dreck um die beiden.


    ZEITmagazin: Den Zank mit Malcolm McLaren haben Sie öffentlich ausgetragen. Was werfen Sie Vivienne Westwood vor?


    Lydon: Gar nichts! Sie konnte mich einfach nie ausstehen. Das gab sie mir von Anfang an unmissverständlich zu verstehen. Umso erstaunter nehme ich zur Kenntnis, dass sie seit einiger Zeit in Interviews darauf herumreitet, was für tolle Freunde wir damals gewesen seien. Faszinierend, die Senilität umnebelt wohl ihr altes Hirn, das ist die einzige Entschuldigung, die ich gelten lassen kann.


    ZEITmagazin: Ihrem Buch zufolge herrschte in den Anfangszeiten der Sex Pistols in England eine Atmosphäre der Gewalt.


    Lydon: Das Risiko physischer Gewalt lag ständig in der Luft. Wir hatten mit unserer Musik eine Grenze überschritten und die britische Gesellschaft herausgefordert. Die Gefühle, die ich zum Ausdruck brachte, waren den Ordnungshütern nicht geheuer. Ich war ein wütender Junge, zur rechten Zeit am richtigen Ort.


    ZEITmagazin: Welche Bedrohungen nahmen Sie damals wahr?


    Lydon: Es wurde überlegt, uns wegzusperren. Das war kein Verfolgungswahn. Im Parlament wurde darüber debattiert, wie mit uns zu verfahren sei. Das war aber auch ein eindrucksvoller Beweis dafür, wie wirkungsvoll Worte sein können: Ja, Songs können die Welt verändern. Und das ist doch sehr viel angenehmer, als aufeinander zu schießen.


    ZEITmagazin: Wurde Ihnen die Aufregung manchmal auch zu viel?


    Lydon: Nie, ich habe sie genossen. Ich kam ja aus dem Nichts, aus den Slums. Die Vorstellung, dass einer wie ich überhaupt irgendeinen Einfluss auf diese Gesellschaft haben könnte, die ich so hasste, war großartig. Je mehr Hass mir entgegenschlug, umso begeisterter machte ich weiter. Wer so schnell so viele verschiedene Menschen zur Weißglut trieb, musste etwas richtig gemacht haben. Jede Drohung gegen mich bestätigte, dass ich etwas zu sagen hatte, das es wert war, gesagt zu werden. Diese Energie hatte ich allein meinen Feinden zu verdanken, nicht meinen Fans.


    ZEITmagazin: Energie in allen Ehren, aber das Geld ließ auf sich warten, oder?


    Lydon: Das können Sie laut sagen! Eigentlich warte ich immer noch. Wenn man die Dinge so unbedarft angeht wie wir damals, wird kaum Geld dabei rumkommen. Wer reich werden will, sollte das anders anstellen. Meine innere Freiheit besteht vermutlich darin, dass mir all die Hinterlist und der Verrat nicht die Seele verbrannt haben. Ich wurde brutal über den Tisch gezogen. Aber das bereitet mir keine quälenden Albträume. Ich war eben schon immer anders als die meisten Menschen. Immerhin das erkannte Malcolm McLaren. Jemanden wie mich hatte er noch nie erlebt.


    ZEITmagazin: McLaren beeindruckten Sie damals auch mit einem Pink-Floyd-T-Shirt, bei dem Sie über den Bandnamen mit einem Filzstift "I HATE" geschmiert hatten. Das muss doch heute ein Vermögen wert sein. Haben Sie das noch?


    Lydon: Dummerweise ist das weg. Das hatte ich mal unserem Schlagzeuger Paul Cook geliehen, der sich damit aus dem Staub gemacht hat.


    ZEITmagazin: Vielleicht hängt es ja gerahmt in irgendeinem Hard Rock Cafe.


    Lydon: Um Himmels willen, bloß nicht! Meine Sachen von früher tauchen meistens irgendwann bei eBay auf. Ich bin immer wieder fassungslos, was da an altem Punkrock-Trödel verhökert wird. Für mich ist das eine widerwärtige Industrie von Parasiten, die deinen alten Kram zu Geld machen wollen.


    ZEITmagazin: Gucken Sie manchmal, was von Ihren Sachen bei eBay zum Verkauf steht?


    Lydon: Ich verschwende da nicht meine Zeit, aber ich habe Freunde, die mich auf einiges aufmerksam machen. Stellen Sie sich vor, da waren neulich sogar alte Unterhosen von mir zu ersteigern. Mir ist es ein Rätsel, wo sie die herhaben. Aber was soll man anstellen, wenn sie deine alten Unterhosen verkaufen? Anrufen und sagen: Die sind gar nicht von mir? Lieber nicht.


    ZEITmagazin: Hat sich die britische Gesellschaft aus Ihrer Sicht in den vergangenen 40 Jahren verändert?


    Lydon: Nichts hat sich verändert! Auch in diesem Jahrtausend gibt es noch tiefe Gräben zwischen den Klassen und riesige Einkommensunterschiede. Ich sage nicht, dass alle Menschen gleich viel besitzen müssen. Manchen Leuten steht mehr zu, weil sie mehr arbeiten, damit habe ich kein Problem. Aber diese drastische Armut ist durch nichts zu rechtfertigen, weder in England noch sonst wo auf der Welt. Wer akzeptiert, dass eine breite Bevölkerungsschicht ohne Geld und Bildung aufwächst, darf sich nicht über künftige Turbulenzen einer abgehängten Generation beschweren. Ich weiß genau, wie sich so eine Jugend anfühlt. Ich bin aus dem Teufelskreis des Selbstmitleids ausgebrochen und habe dafür gesorgt, dass in meinem Leben etwas passiert. Ich bin kein Genie, ich hatte nur das Glück, dass die Sex Pistols etwas Erfolg hatten.
    Dieser Artikel stammt aus dem ZEITmagazin Nr. 19 vom 07.05.2015.
    Dieser Artikel stammt aus dem ZEITmagazin Nr. 19 vom 07.05.2015. Hier können Sie die aktuelle Ausgabe lesen.


    ZEITmagazin: Sie haben mit den Sex Pistols und später mit PiL bemerkenswerte Platten produziert. Aber geredet wird vor allem über den Krawall, der Ihr Leben begleitet hat. Fühlen Sie sich als Künstler unterschätzt?


    Lydon: Nein, das ist in Ordnung. Die meisten Menschen sind doch in extrem langweiligen Existenzen gefangen. Kein Wunder, dass die sich für meine Abenteuer interessieren. Aber mal im Ernst, wenn man als Musiker sofort sehr erfolgreich ist, wird das den Rest des Lebens prägen. Aber dieser Tatsache möchte ich gar nicht aus dem Weg gehen. Ich bin stolz auf jeden Radau mit den Sex Pistols.


    ZEITmagazin: Nächstes Jahr werden Sie sechzig. Ab wann ist man zu alt für Punkrock?


    Lydon: Nie! Ich randaliere ja immer noch.


    John Lydon, 59, geboren in London, wurde 1975 Mitglied der Sex Pistols und nannte sich Johnny Rotten. Nach der Auflösung der Band 1978 gründete er Public Image Ltd. (PiL). In diesen Tagen erscheint seine Autobiografie "Anger is an Energy. Mein Leben unzensiert" (656 S., 24,99 €) bei Heyne Hardcore

    NEIN :!:

  • Eine Tribute Band, die sich lohnt....


    The Sex Pistols Experience: http://www.sexpistolsexperience.co.uk/start.htm



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