In aller Stille ist ein hervorragendes Album. Es ist komprimiert und kompakt, zusammenhängend und stimmig. In dem Zshg. ist es durchaus mit der Horrorschau zu vergleichen (die Opium finde ich übrigens ein schwaches Album, das weit unter In aller Stille einzuordnen ist). Abgesehen davon ist es sicher das härteste Album, das die Hosen aufgenommen haben, allein vom dichten Sound und den lauten Gitarren her. Die meisten Stücke sind unverkrampft, auch textlich frisch und i.d.R. völlig unpeinlich. Aufgesetzt ist die Härte nur bei "Strom" (musikalisch gewollt, billiig und ebenso textlich), das von mir aus nicht hätte veröffentlicht werden brauchen.
Zu Campinos Stimme: Ich denke, er kriegt es halt nicht mehr hin, so zu singen wie früher. Schade - ist aber so. Besser ist es übrigens seither auch nicht geworden, wie man gerade bei den Live-Veröffentlichungen hört.
Zur Tour kann ich nichts sagen. Ich war nicht da, da mich die Hosen damals nur nebenbei interessiert haben.
"Alles was war" ist übrigens einer der stärksten Songs der Hosen aus den letzten Jahren und eine Bereicherung für das Live-Set, können sie gerne weiter spielen. Es gibt da ganz andere Kandidaten, die rausfliegen sollten, um Platz zu machen. Ich kann ja nachvollziehen, dass dem einen oder anderen das Lied nicht gefällt. Es ist aber weder platt noch billig. Der Text ist so ziemlich der beste, der je in der Richtung geschrieben wurde (durchaus auf einer Ebene mit "Weißes Papier" von Element of Crime).
Dass das Album live dermaßen übergangen wird, hat sicher auch mit seiner Härte zu tun. Auf Live-Konzerten betreiben die Hosen ja mittlerweile nur noch eine Bespaßung für die dumme Masse auf Schlagerniveau und sie scheißen auf die Fans und was diese hören wollen. Ich kenne zwar jetzt auch nicht die Verkaufszahlen, ich würde aber wetten, dass das Album das schlechtverkaufteste der regulären Studioalben in den 2000-ern ist (eben wegen der Härte und kaum vorhandenen Massenkompatiblität, wenn man mal von "Alles was war" und "Auflösen" absieht).
Was ich vor geraumer Zeit in meinem ausführlichen Post geschrieben habe, teile ich nachwievor:
Alles anzeigenAuch ein Album aus der Zeit, als ich die Hosen nur vom Rand aus verfolgt habe und das ich mir erst Jahre später zugelegt habe;
Das erste Album mit einem neuen Produzenten: Die Abkehr von Jon Caffery habe ich den Hosen bis heute nicht verziehen. Ich finde übrigens nachwievor, dass "Zurück zum Glück" hervorragend produziert ist. Angeblich soll ja die Unzufriedenheit der Band mit der Produktion von "Zurück zum Glück" ein Grund dafür gewesen sein, dass sie Caffery als Produzenten den Rücken zugekehrt haben. Könnte ich überhaupt nicht nachvollziehen, wenn das so gewesen wäre;
Ich muss gestehen, dass, so unsympathisch mir Vincent Sorg auch ist, er hier einen hervorragenden Job gemacht hat. Der Sound kommt wirklich sehr frisch daher. Die Gitarren bei den härteren und schnellen Liedern sind lauter im Verhältnis zum Gesang abgemischt, wie das bisher der Fall war, was dem Sound der Hosen verdammt gut tut: Das Album besticht durch eine grundsolide Härte und die Produktion unterstützt diese. Auch bestechen die Gitarren durch einen grandiosen Sound.
Von der Gesamtkonzeption erscheint mir das Album sehr zusammenhängend und gut strukturiert. Es ist nicht so ein Ding wie das wirre Unsterblich-Album. Tatsächlich ist es mit 13 Stücken sehr komprimiert - noch komprimierter als "Zurück zum Glück". Das war eine weise Entscheidung, zumal man sich meiner Meinung nach fast ausschließlich für gute Stücke entschieden hat und diese gut aufeinander abgestimmt. Es ist meiner Meinung nach kein wirklicher Müll drauf (so wie noch "Beten" und "Walkampf" auf der "Zurück zum Glück").
Die Texte gefallen mir teilweise außergewöhnlich gut und sind durch und durch unpeinlich, im Gegenteil teilweise geradezu herausragend. V.a. aber schaffen die Hosen hier den Spagat, dass die Texte zwar von hohem Niveau sind, zugleich aber sehr direkt. Diese Direktheit in der Sprache hatten die Hosen seit Anfang/ Mitte der 1990-er Jahre verloren und haben erst auf den letzten Alben nach und nach zu ihr zurückgefunden.
Dass die Hosen ihre Zusammenarbeit mit Funny van Dannen offensichtlich beendet haben, finde ich positiv. Ich mag van Dannen, aber als Solokünstler. Die Sachen, die er zusammen mit den Hosen gemacht hat, finde ich großteils einen Fall für die Tonne. Die grandiosen Stücke „Weltmeister“ und „Der Mond, der Kühlschrank und ich“ sind natürlich Ausnahmen.
Zu den einzelnen Stücken:
- „Strom“: Mit dem Stück kann ich nichts anfangen. Ich finde es nicht einfallsreich. Pillermaik hat mal im Thread zum „Zurück zum Glück“-Album geschrieben, Aggressivität, Härte und Tempo des von „Zurück zum Glück“ wirken auf ihn aufgesetzt. Genau das, finde ich, ist beim Stück „Strom“ der Fall, in der Musik und auch im Text. Zudem finde ich auch die Komposition wenig einfallsreich.
- „Innen alles neu“: Hallo, gleich ein harter Temposong nachgesetzt; Hier fällt mir gleich auf, dass die Gitarren wesentlich lauter als bei vergangenen Hosen-Alben abgemischt sind, was mir gut gefällt. Klasse Text;
- Die Kombination mit dem Kraftwerk-mäßigen Disco-Beat ist gewöhnungsbedürftig, gefällt mir aber gut, v.a. gelingt die Kombination aus Disco und Punkrock, gerade auch dank der sehr wahrnehmbaren Gitarren. Auch die Direktheit im Text gefällt. Ganz allgemein habe ich das Gefühl, dass die Hosen – auch schon auf den Alben zuvor – wieder zu einer direkteren Sprache zurückgefunden haben, was ihnen nur gut tut.
- „Teil von mir“: Ich habe schon mal geschrieben, dass die Hosen grandios in unglücklichen Liebesliedern sind: hier wieder: toller Text, in den sich wohl die meisten Menschen hineinversetzen werden können. Auch fallen erneut die lauten Gitarren positiv auf, der dem Sound einen gehörigen Schliff verleiht.
- „Auflösen“: Vielen gefällt das nicht, mir schon. Eine schöne bildhafte Sprache – wie viel da auf den Mist von Campino und wie viel auf den von Birgit Minichmayr gewachsen ist, kann man jetzt spekulieren. Eigentlich mag ich Campinos Ego-Nummern nicht. Aber in dem Fall halte ich das Ergebnis für gelungen. Daher Daumen hoch;
- „Leben ist tödlich“: Schon wieder ein Knaller wie zuvor schon „Innen alles neu“ oder „Teil von mir“; geiles Stück und ein bemerkenswerter Text; Die Gitarren knallen einem ganz schön um die Ohren.
- „Ertrinken“: etwas untypisch für die Hosen, aber schon wieder ein Hit, der schlicht gefällt und hervorragend komponiert ist, toller Text;
- „Alles was war“: unglückliche Liebeslieder Teil 2, und schon wieder ein Volltreffer. Gefällt mir von der Musik sehr gut und der Text ist einfach nur der Hammer und unfassbar wahr. Wie cool kann man sein, um so eine Anmaßung zu formulieren wie „Vielen Dank für alles, was mal war / Für jeden guten Tag / Nun sage mir wie war / Dein Leben ohne mich?“, um dann aber gleich wieder auf den Boden der Realität zu kommen: „Vielen Dank für alles, was mal war / Falls Du's vergessen hast / Ich erinner mich für Dich / An alles was mal war“? Das ist wirklich ein Stück von der Klasse wie „Weißes Papier“ von Element of Crime.
- „Pessimist“: wieder ein Knaller, der mir direkt seinen Weg in meine Gehörgänge findet, wie zuvor schon „Innen alles neu“, „Teil von mir“, „Leben ist tödlich“, und schon wieder ein herausragender Text, der ohne jetzt groß zu politisieren eine grundvernünftige Haltung an den Tag legt und unverkennbar von der richtigen Seite kommt: „Die fetten Jahre sind vorbei / Wir sollen den Gürtel enger schnallen / Das Glück liegt immer noch auf der Straße / Man muss es nur in Bar bezahlen“.
- „Wir bleiben stumm“: Finde ich jetzt musikalisch recht langweilig, die Ausflüge der Hosen ins Chanson-/ Schlagerhafte, die mindestens seit der Opium vorkommen, gefallen mir nicht. Der Text aber ist bemerkenswert: Ich halte diesen für sehr glaubwürdig und denke mal, dass er sehr autobiografisch ist, über sich selbst und Leute, die zusammen den selben Weg losgegangen sind, von denen manche aber auf der Strecke blieben, weil sie vielleicht nicht so viel Glück hatten oder auch von Haus aus andere Voraussetzungen hatten. Fazit: Toller Text, aber musikalisch leider nichts;
- „Die letzte Schlacht“: Das wohl politischste Lied der Platte, toll arrangiert, mit einer unglaublichen Leichtfertigkeit gespielt und dennoch mit der notwendigen Portion Härte;
- „Tauschen gegen Dich“: Mit diesem Lied kann ich ebenfalls nicht viel anfangen, ist aber auch keine Katastrophe.
- „Angst“: kann man mal machen, ist tatsächlich ganz gut;
„In aller Stille“ ist eine sehr gute moderne Punkrockscheibe, sehr druckvoll und hart, sehr gut produziert, abwechslungsreich, hat tolle Kompositionen und oft herausragende und niemals peinliche Texte: Sowohl musikalisch als auch textlich scheint mir „In aller Stille“ null aufgesetzt. Wie schon bei „Zurück zum Glück“ merkt man, dass das noch die gleiche Band ist, die mal die Horrorschau aufgenommen hat. „In aller Stille“ gefällt mir sogar noch ein Stück besser als „Zurück zum Glück“, wahrscheinlich deshalb, weil das Album ohne einen einzigen Totalausfall oder Fremdschäm-Song wie „Walkampf“ auskommt. Da ich mal davon ausgehe, dass auf den B-Seiten der Auskopplungen noch der ein oder andere Knaller drauf war, hätte man, wenn es nach mir gegangen wäre, noch „Strom“, „Wir bleiben stumm“ und „Tauschen gegen Dich“ austauschen können.
Urteil: Das beste Hosen-Album seit der Kreuzzug;
Als meine drei Favourites ausgewählt habe ich übrigens „Teil von mir“, „Leben ist tödlich“ und „Die letzte Schlacht“ ausgewählt. Die Entscheidung fiel nicht leicht.