Mein Tour-Rückblick 2022 oder "Diese Tour mache ich nur zwei Konzerte"

  • Es ging wieder los. Schon allein dieser Gedanke sorgte für Glückseligkeit. Es würde noch eine Weile dauern, aber zumindest gab es Tickets. In 3 - 2 - 1... [F5]!!!


    Monate später keimte Corona wieder auf. Die Wellen nahmen wieder zu, wir alle waren uns bis zum Schluss nicht im Klaren darüber, ob die Tour stattfinden würde oder nicht. Ich selbst würde nur auf zwei Konzerte gehen. Düsseldorf, na klar, weil es das traditionelle Klassentreffen war und Berlin-Tempelhof... Naja, nicht weil ich es 2013 dort auch nur irgendwie genossen hatte, sondern einfach, weil es quasi direkt vor der Haustür lag.


    Und dann verdichteten sich die Zeichen, dass die Tour starten würde. Andere Künstler und Künstlerinnen hatten bereits erfolgreich Konzerte gegeben, ohne dass diese Events zu großen Problemen führten, zumindest keine die großartig medial kommuniziert wurden. Und dann kam der Astra-Termin!


    Nun war kein Halten mehr! Die beiden anderen Tickets hatten meine Vorfreude jetzt noch nicht ins Unermessliche gesteigert, aber Zurückkommen in einem Club, SO musste das aussehen. Ich mache diese Tour nur drei Konzerte.


    Die Diskussionen um Corona sorgten nicht nur hier im Forum für erhitzte Gemüter. Für mich war klar, dass ich gehen würde, aber wie sieht der Schutz der eigenen Gesundheit aus? Diese Frage beschäftigte mich schon vorher und sie sollte mich bis zum Ende der Tour beschäftigen. Mich interessierte, wie andere das sahen. Ich nahm mir vor, Maske zu tragen.


    Am Astra angekommen fühlte ich mich gleich wie zu Hause. Zahlreiche bekannte Gesichter, Bekannte und Freunde, von nah und fern und es wurde gefeiert! Maske tragen fühlte sich komplett falsch an, ich beschloss, das Risiko einzugehen und die Party maximalst zu genießen.


    Ich war glücklich, so geschwitzt war ich schon sehr lange nicht mehr. Ich hatte endlich mein Hobby wieder, das, was wir alle mehrere Jahre schmerzlich vermissten, das, dessen Fehlen mir jeden Tag beim Verlassen der Wohnung durch ein noch immer an der Pinnwand hängendes, nie eingelöstes "Alles ohne Strom"-Ticket verdeutlicht wird. Bier, Schweiß, Party, neue Gesichter zu alten Bekannten - und vier Wochen Corona. Der Preis, den ich zahlte, um "die Party maximalst zu genießen". Ein Schuss, ein Treffer.


    Ja, mir ging es verdammt scheiße. Doch das Problem, was ich erst hinterher erkannte, war, wie sehr ich meine Partnerin damit belastete, wie mein Hobby, mein eigener Spaß, sie vor Probleme stellte. Durch meine Isolation in der Wohnung, war sie gezwungen, den Haushalt zu übernehmen, die Katze zu versorgen, mich zu versorgen. Mein Egoismus tat mir plötzlich Leid.


    Die Wochen vergingen, die PCR-Tests blieben positiv, wurden sogar zeitweise wieder noch kritischer und Düsseldorf kam näher. Ich hatte schon unser Die Ärzte-Konzert absagen müssen, eigentlich wollte ich Düsseldorf nicht auch noch missen. Düsseldorf kam näher und ich war noch immer positiv. Ich wurde nervös. Ich befragte meine Ärztin und sie sagte: "Gehen Sie raus, auch wenn sie positiv getestet werden, ansteckend sind Sie sicher nicht mehr." Diesen Rat ließ ich mir von zweiter Stelle bestätigen und damit war klar: Düsseldorf, ich komme! Und pünktlich 4 Stunden vor Anpfiff bekam ich dann tatsächlich auch den erlösenden PCR-negativ-Bescheid. Dennoch, ich hatte versprochen, nicht die dichteste Menge zu suchen und stand mit Freunden recht weit außen und mit FFP3 bewährt.


    Düsseldorf 2 war die Wahrwerdung meines feuchten Jugendtraums. Wie oft hatte ich mir ausgemalt, beide Bands auf einer gemeinsamen Bühne zu sehen. Damals, 2013 hatte ich Tickets für alle drei Tempelhof-Tage (Freitag: DTH, Wochenende 2x DÄ). Damals hatte ich gehofft, dass es wahr würde und bekam drei beschissene Konzerte zum Dank. 2019 waren beide Bands beim NovaRock, auch da bin ich unter anderem wegen der kleinen Hoffnung hingefahren. Und dann erlebe ich das komplett unvorbereitet an diesem Tag. Noch jetzt, viele Monate nachher, freue ich mich über dieses musikalische Großereignis, noch heute schaue ich mir oft Youtube-Videos davon an. Allerdings habe ich ein Problem: Ich selbst kann mich irgendwie nicht gänzlich daran erinnern. Mein Hirn spielte in dem Moment verrückt. Ich schwankte zwischen "Ich muss das Filmen, ich muss das für die Nachwelt aufheben!", wie nahezu alle anderen, und "Bloß nicht dieses Ereignis durchs Handy anschauen, sondern vollständig, wahrhaftig, live genießen." Und durch diese Schwankung habe ich das Gefühl, beides nicht geschafft zu haben. Ich habe weder eine Aufnahme davon, noch eine Erinnerung, es zu einhundert Prozent durch meine eigenen Augen erlebt zu haben.


    Die Tage vergingen, viele viele Tests mit negativem Ergebnis ebenfalls, als ich eines Morgens aufstand, und dachte: Heute ein Tag ohne Termin. Heute ein Tag auf der Couch. Und ich begann mich augenblicklich zu langweilen. Ich telefonierte kurz, ich sah meine Freundin an, sie sagte: "Na fahr doch." Zwei Stunden später saß ich in Leipzig mit Freunden auf dem Parkplatz, hielt mein Ticket zum halben Preis in der Hand, trank ein Bier und freute mich auf den Abend. Diese Tour mache ich nur vier Konzerte.


    "Willi muss ins Heim" ist wohl mein absolutes Highlight der Tour, was die Songauswahl anbelangt. Aber generell, wie cool war denn bitte dieser letzte Block? Was da rausgehauen wurde, unfassbar!


    Berlin-Tempelhof kam näher, und irgendwie hatte ich eigentlich keine so richtige Lust darauf. Im Vorfeld hatte ich ein paar Leute zu mir eingeladen, alle haben nach und nach abgesagt. Eine Argentinierin, seit 2018 ist da eine echte Freundschaft gewachsen, sagte wegen deren Inflation ab. Die Horde Polen wollte doch lieber Großstadtcamping machen. Nix mit internationalem Fantreffen. Schade eigentlich. Zwei Betten bekam ich dann aber noch los, es wurde ein netter Abend. Doch das ganze stand unter keinem guten Stern. Die Erinnerungen an 2013 und die verkorkste Vorgeschichte, all das machte wenig Mut. Noch schlimmer war dann die Nachricht des Todes eines Angehörigen meines Fankreises. Berlin war das nächste Konzert und so machten sich alle Bekannten und Freude auf, hier her zu kommen und gemeinsam zu trauern. Natürlich musste ich dabei sein, Location hin oder her. Es war traurig, doch der schönste Abschied, den man sich für ihn denken konnte. Mach's gut!


    Insgesamt war die Stimmung in Berlin also eher gedrückt. So konnte, so wollte ich nicht die Tour beenden. Wer weiß, ob es eine weitere geben würde. So wollte ich nicht die Hosen-Zeit beenden. Es war klar, das Tourfinale musste her. Ich mache diese Tour nur fünf Konzerte.


    Emotional war Minden wirklich das komplette Gegenteil wie Berlin. Die gleichen Leute, aber fröhlicher, ausgelassener. Wir saßen vorher und nachher lange zusammen, es hatte etwas von Abschied. Es wurde bis tief in die Nacht Gitarre gespielt und rumgegröhlt. Selbst ein Freund von mir, den ich eigentlich ein wenig gegen seinen Willen aus Berlin mitschleppte und den ich DTH-entjungferte, war am nächsten Tag auf der Heimreise erstaunt, wie toll die Community war, wie geil so ein Hosen-Konzert werden konnte. Alles richtig gemacht. Bis auf die billige Absteige in Hannover.


    Und damit ging ich nach Hause. Wohlwissend, dass die Tour zu Ende war und hoffend, dass wir uns alle eines Tages wiedersehen würden.


    Argentinien? Nein, dieses Mal nicht. Corona wütete dort und ich wollte nicht riskieren, dass ich bei den derzeitigen Flugkosten nach dem ersten Konzert mit Corona in der Quarantäne lag. Ich hatte fünf tolle Konzerte gesehen, eines anders als das andere. Alle dank konsequenter FFP3-Tragung unbeschadet überstanden, auch in den vordersten Reihen - wenn auch meistens etwas seitlich. Nein, dieses Mal nicht.


    [hahaha, "Ihre Nachricht ist zu lang. Es stehen maximal 10.000 Zeichen zur Verfügung."]

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    Und dann kamen die ersten Bilder rüber. Freunde, wie sie feierten. Deutsche, Argentinier, alle zusammen. Ohne mich. Ich konnte nicht schlafen. Ich checkte die Corona-Meldungen: Inzidenz 4 dort, Inzidenz 400 hier. Keine Ahnung, welche Aussagekraft nur eine der beiden Zahlen hatte, aber für mich reichte zu wissen, die Lage dort ist gerade entspannt. Ich rief den Chef an, bat um eine Verlängerung meines Urlaubs und buchte den Flug. Das erste Obras-Konzert würde ohne mich stattfinden, aber wenn alles gut lief, würde ich das zweite erleben. Dazu kamen die beiden geplanten Konzerte im La Trastienda und in Tandil. Diese Tour machte ich nur acht Konzerte.


    Es lief alles super, ich schaffte es rechtzeitig in den Club. Zwar hatte ich, ich behaupte als absolut einziger, meine FFP2-Maske auf, aber ich schwamm in der Menge. Die Stimmung, die Fans. Da war es wieder! Argentinien-Konzerte sind einfach noch einmal so viel besser als die deutschen. Und ich war dabei. Noch zwei Tage vorher war es absolut unvorstellbar und jetzt war ich da, zusammen mit allen, die ich so lange nicht gesehen hatte. So viele Bekannte aus Übersee, so viel zu sehen, so wenig Zeit!


    Meine argentinische Freundin hatte mir spontan eine Karte zur Lesung von Campinos Buch geschenkt. Parallel lief eine traditionell tolle Gartenparty und eigentlich wollte ich lieber dort hin, als mir zum dritten Mal die Lesung anzuhören über ein Thema, was mich noch immer nicht so prächtig interessierte und noch dazu in einer Sprache, die ich nicht verstand. Aber es war die Geste, die zählte und ich wollte ihr dieses gemeinsame Erlebnis nicht abschlagen. Es wurde sehr amüsant. Ich liebte es, wie die Argentinier herzlichst lachten, auch oder gerade wegen der Aussprache und der wohl hier und da nicht ganz so gelungenen Übersetzung. Es war ein Fest. Und dass dies noch mit einem kleinen Überraschungskonzert beendet wurde, machte den Abend bis dahin sehr perfekt. Ich werde die Tour nur neun Konzerte machen.


    Kaum aus der Tür raus, wurde mir komisch. Dieses "komisch" steigerte sich in den nächsten sehr wenigen Stunden zu einer ausgewachsenen Lebensmittelvergiftung. Das eine Empanada vom Stand dort drüben hätte ich wohl nicht essen sollen. Ich lag flach, wenn ich nicht gerade über den Klo oder einem Eimer hing. Ich wurde so schwach, dass mir am Ende in einer Notaufnahme (NIEMAND! auf der Welt, will eine argentinische Notaufnahme von innen erleben, garantiere ich euch!) ein Liter Kochsalzlösung intravenös eingeflößt wurde. Schade, das Konzert nachher kann ich dann wohl vergessen. Und so trat irgendwie die Befürchtung ein: Ein Konzert erlebt und dann flachgelegt. Nur nicht wegen Corona, sondern wegen schlechter Lebensmittel. Mist!


    Tatsächlich ging es in den nächsten Stunden schon wieder so, naja, nennen wir es "ok", dass ich mich entschloss, es in den Club zu versuchen. Knapp vor Beginn, also deutlich nach Vorband mit dem Taxi hin, nur das Konzert und direkt wieder zurück. Ich schaffte es, zwar leider nur an der Seitenauslinie stehend, leicht schwankend und festhaltend, aber sonst ok. Mir wurde gesagt, das La Trastienda-Konzert hätte es problemlos mit dem Mendoza-Konzert 2018 aufnehmen können, das ich selbst nach wie vor für das intensivste Hosen-Erlebnis überhaupt halte. Das konnte ich zwar von der Setlist her verstehen, aber von meinem Platz aus fehlte nun einmal die Intensität der ausrastenden Masse um einen herum. Wieder zu Hause, bin ich direkt ins Bett gekippt und hab sehr lange geschlafen. Der Körper war am Ende. Und eines war klar: Tandil würde ausfallen. Diese Tour würde ich nur auf acht Konzerte gehen.


    Es war eine Sache, mal vier Stunden stehen zu können, mit der Option, jederzeit innerhalb von 30 Minuten ins Bett zu können, eine andere mehr als 5 Stunden durch die wortwörtliche Pampa Bus zu fahren, und das ohne Klo. Dann auf den späten Abend zu warten, dann das Konzert zu machen, um danach, also direkt nach dem Konzert wieder besagten Bus ohne Klo zu besteigen, um rechtzeitig den Flughafen für den Heimflug zu erreichen. So sehr ich es auch beweinte, aber es war die einzig richtige Entscheidung. In Argentinien hatte ich drei tolle Konzerte erlebt, drei grundverschiedene noch dazu, da war der Ausfall zu verkraften. Auch wenn der Trip leider tatsächlich zur Hälfte ins Wasser fiel, gab es auch diesmal wieder viele tolle Begegnungen, die ich nur ungern missen möchte.


    Tja, und dann? Kaum war ich wieder zuhause und steckte mir so einen Test in den Rachen: Positiv! Zum zweiten. Und nun erkläre mir mal bitte jemand, wieso der einzige Depp, der stets und ständig, überall, diese beschissene Maske im Gesicht hatte, wieso der Typ, der sich permanent blöden Blicken und manchmal auch beschissenen Sprüchen ausgesetzt sah, warum ausgerechnet der der einzige ist, dessen obligatorische Erkältung nach dem Trip der einzige bekannte Fall von Corona überhaupt war?


    Es war ein spannendes Konzertjahr. In meinem Kopf war immer das eine Thema präsent, deswegen fühlte es sich immer ein wenig komisch an. Aber es war emotional in alle Richtungen, es gab viel zu lachen und zu weinen. Ich konnte viele alte Bekannte wieder treffen und neue Bekanntschaften schließen. Und nebenbei gab es immer geile Livemusik. Was will man mehr?

    36 (+2)
    Narf.

    2 Mal editiert, zuletzt von S-Man ()

  • S-Man

    Hat den Titel des Themas von „Mein Tour-Rückblick 2022“ zu „Mein Tour-Rückblick 2022 oder "Diese Tour mache ich nur zwei Konzerte"“ geändert.
  • Schöner Rückblick auf die Tour. Wahnsinn, was du alles mitgenommen hast, inklusive zweimal Corona🙈. Gute Besserung!

    Ich hatte da echt Glück. Als die Karten fürs Astra verkauft wurden, war ich gerade in Isolation und dachte mir, ich wäre bis zum Konzert längst wieder fit. Pustekuchen, der Test war zwar schon nach 9 Tagen negativ, aber ich auch nach vier Wochen noch total geschwächt. Trotzdem konnte ich nach Berlin fahren und das Konzert genießen, nur mit groß Rumspringen war nichts. Frisch genesen und im Astra wahrscheinlich nochmal mit dem Virus konfrontiert, durfte ich einen entspannten Sommer mit weiteren Konzerten verbringen. Mal sehen, was im Herbst und Winter kommt…

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