@ wsv:
Zum "bösen Wolf" vielleicht ein ander Mal was;
Deine Interpretation in allen Ehren, teile ich ja auch bis zur Schlussstrophe (und finde weiterhin, dass die Ärzte das auf "Kopfüber in die Hölle" besser und würdevoller hinbekommen haben).
Aber Du bleibst mir die Interpretation des Schlusses schuldig. Was soll denn Zusammenhang im Song zwischen dem errungenen Sieg und der Möglichkeit zu wählen? Das konnte man doch schon vor der Punkbewegung/ als die Hosen jung waren/ etc..
"... Gott sei Dank haben wir gesiegt / Und heute können wir wählen / zwischen SPD und CDU / zwischen RTL und ZDF / für Pepsi oder Coke":
Das gab es in der Bundesrepublik alles schon seit 1949 (na gut, keine Ahnung, wann die Pepsi auf den Markt kam und Privatfernsehen gab es auch erst seit den 1980-er Jahren...). Entscheidend ist: Ganz klar wird hier ein Zusammenhang aufgemacht zwischen einem errungenen Sieg sowie der Möglichkeit JETZT und als Folge dessen zu wählen, und zwar konkret zwischen verschiedenen Parteien, aber auch im Konsum. Stellvertretend werden hier verschiedene Fernsehsender (sogar Privatfernsehen!) und Limonaden (gerade Coca Cola ist ja wohl als DAS weltweite Symbol für Konsum und westlichen Kapitalismus, gerade von seinen Gegnern so herausgestellt) genannt. All das gab es im anderen Teil Deutschlands genau seit 1989/ ´90 (Kennst Du die Stelle bei "Good bye Lenin", als das riesige Coca Cola-Transparent über dem Plattenbau entrollt wird?). Gegner und Kritiker der Wiedervereinigung haben ja auch immer polemisch gesagt, die Ossis hätten sich für Bananen, Sex Shops und McDonalds über den Tisch ziehen lassen (wurde auch in vielen Liedern verarbeitet diese Thematik, bitterböse etwa bei Abwärts: "Zonenzombie" und "Sonderzug zur Endstation"; weniger bösartig und mit weniger Entschiedenheit, teilweise mit anderen Schwerpunktsetzungen aber auch bei Hosen: "Alles wird gut", Ärzte: "Hurra", Onkelz: "Worte der Freiheit", EAV: "Es steht ein Haus in Ostberlin", Terrorgruppe: "Deutsche Einheit", um nur mal die bekanntesten zu nennen.)
Dass es hier um die Wende geht, ist, denke ich, nicht zu weit hergeholt, auf jeden Fall aber eine mögliche und naheliegende Interpretation.
Und da fehlt mir dann der Zusammenhang zum Rest des Textes, den ich ja so verstehe wie Du. Bis eben auf den polemischen Schluss, als es heißt, der Sieg war leider auch nur Opium oder so ähnlich. Was soll also das mit: "Wir haben gesiegt und heute können wir wählen"?
Off Topic zu Deinem Einwand: Die Bürgerbewegung in der DDR war recht vielfältig. In der Frühphase waren da linke Strömungen durchaus dominant. Kaum eine Gruppe, die sich nicht auf den Sozialismus berufen hätte. Gefordert wurde ja zunächst ein anderer Sozialismus, eine andere DDR und nicht die Einverleibung der DDR in die Bundesrepublik. Es hieß da auch noch "wir sind das Volk", und nicht wie dann auf einen Schlag, "wir sind ein Volk". Diese Parole soll ja auch im Bundeskanzleramt entstanden sein. Auch auf dem ersten gesamtdeutschen Treffen von Vertretern der ev. Kirche schimmerte das durch: Die Vertreter der Westkirchen waren entsetzt als die Vertreter aus der DDR ihre Auffassung vertraten, dass der Sozialismus dem christlichen Menschenbild näher stünde als der Kapitalismus. Das konnten die im Westen nicht verstehen, da sie doch 40 Jahre so böse vom Sozialismus unterdrückt gewesen seien.
Die ganzen Reaktionäre, die sich heute als Bürgerrechtler aufspielen, hatten doch erst ihren großen Auftritt und haben sich vor alles gestellt, als absehbar war, dass die DDR nicht mehr zu retten ist, hatten mit der eigentlichen Bewegung nicht viel zu tun.
Abgesehen davon finde ich die Berufung, auf den alten Marx, der sicher stolz auf uns wäre, auch reichlich wirr - so oder so.